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pampuchs tagebuchSo wollten wir leben

Aus gegebenem Anlass – der taz-Kongress „wie wollen wir leben?“ dräut an diesem Wochenende – richten wir heute den Blick zurück in eine Zeit, in der es weder das Internet noch die taz gab. Ängstlich vermeiden wir dabei, aus diesen Spalten eine Nostalgieecke zu machen. Doch ganz können wir nicht umhin – ein wenig gefühlsduselig zu werden. Das bringen solche Blicke zurück nun mal mit sich.

Da gab es in den fernen 70ern einen munteren Kreis von StudentInnen und kampferprobten Spontis aus aller Herren Bundesländer, die sich im damaligen Westberlin angesiedelt hatten. Sie trafen sich einmal wöchentlich, um eine edle Zeitung zu fertigen, die den verheißungsvollen Titel Der Lange Marsch – Zeitung für eine neue Linke trug. Die Geschäftssprache war Westdeutsch mit vielen folkloristischen bayrisch-fränkischen Einsprengseln, ein paar Ehrenberliner sorgten für die richtige Einbettung in der Frontstadt.

Der Lange Marsch kloppte sich mit Dogmatikern aller Spielarten, von den „Leninisten mit Knarre“ der RAF bis zu den stalinistischen K-Gruppen, die damals immer noch ihr Unwesen trieben. Ab und zu schaute auch Rudi Dutschke mit seiner Baskenmütze über dem angeschossenen Kopf vorbei und erklärte uns liebevoll die Welt, wobei er immer gerne die nationale Frage aufs Tapet brachte. Das ging, solange es ging, und so um 1977 hatte der Haufen seine Schuldigkeit getan. (Viele der Langen Marschierer wurden übrigens später zu Mitarbeitern oder Redakteuren der taz – ein weiterer entschlossener Schritt auf dem Marsch wohin auch immer.)

In jenen frühen Marsch-Jahren war das Layout noch eine Frage von Kleber und Papierschnitzeln, von Letraset und Tapetentischen. Das Ganze kostete immer ein Wochenende, und wenn die Zeitung dann da war, zogen sämtliche Redaktionsmitglieder zumeist in Zweiergruppen durch die Kneipen und brachten ihre druckfrischen Elaborate für eine Mark persönlich an die Kundschaft – eine Leser-Blatt-Bindung, die in dieser Form heutzutage kaum noch vorstellbar ist. Die direkte Konfrontation nämlich vermittelte allen Beteiligten das angenehme Gefühl, nicht nur unentfremdete, sondern darüber hinaus auch echte Basisarbeit zu leisten. Nicht in allen Kneipen jubelten die Leute, wenn wir mit unseren ebenso aufrüttelnden wie geschmackvoll (das waren noch Layouts!) edierten Analysen aufkreuzten. Es gab immer mal wieder Ärger und auch Drohungen von irregeleiteten Genossen, denen die Marschrichtung nicht passte, aber das focht niemanden an, ganz im Gegenteil. Denn Kommunikation und Netzwerk bedeuteten direktes Aufeinandertreffen von Freunden wie Gegnern. Der Internationalismus, der zu jener Zeit noch hoch im Schwange war, hieß neben Korrespondenz und Lektüre vor allem Reisen. Man machte sich auf nach Portugal und Lateinamerika, nach Spanien, Italien, in den Osten, und ein paar ganz Mutige gingen sogar in die USA. Und man kehrte zurück und schrieb auf alten Schreibmaschinen, was man erlebt hatte und dass die Welt eben doch nur eine sei und dass es, wenn auch mühsam, vorangehe auf dem Langen Marsch.

Ab und zu kamen die Genossen, die man getroffen hatte, aus den Ländern und berichteten selbst und diskutierten und manchmal sangen sie auch „Avanti populo“ oder „Grandola, Villa Morena“ oder „We Shall Overcome“. So wollten wir leben.

So ganz ist es uns dann doch nicht gelungen. Ist das nun nur eine Geschichte fürs Kaminfeuer ohne Computer und Netzwerke aus dem Pentagon? Weit gefehlt. Ich habe mir aus bewusstem Anlass die Mühe gemacht, meine Suchmaschinen anzuschmeißen und sie nach dem Langen Marsch zu durchforsten. Und siehe da: Unter www.free.de/dada/dada gibt es doch tatsächlich einen Eintrag – in der „Datenbank des deutschsprachigen Anarchismus“. Nostalgia isn’t what it used to be, aber Dada hilft. THOMAS PAMPUCHThoPampuch@aol.com

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