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Besserverdiener im Klassenkampf

Zum ersten Mal streikten gestern die Piloten der Lufthansa für mehr Geld. Über 300 Flüge fielen aus, 30.000 Passagiere saßen am Boden fest. Das befürchtete Chaos blieb aus, und Montag wird weiterverhandelt. Piloten drohen mit nächstem Ausstand

aus FrankfurtKLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Pilot ist ein cooler Job, lautet das gängige Vorurteil: Um die Welt düsen, nur 78 Stunden im Monat in der Kanzel sitzen und dann auf den Bahamas im weißen Sand liegen. Mit knapp 50 gibt es eine dicke Rente. Dafür zahlt die Lufthansa dann auch noch zwischen 100.000 (1. Jahr) und 311.000 (28. Jahr) Mark brutto per annum. Herz, was willst du mehr?

Bis zu 150.000 Mark. Denn Pilot sei eben kein so cooler Job, sondern harte Arbeit mit hohem Risiko, sagt die Pilotenvereinigung Cockpit. Knapp eine halbe Million Mark sollen die Flugkapitäne demnächst also verdienen, eine Tariferhöhung um durchschnittlich 35 Prozent, „so viel wie die Piloten anderer Fluggesellschaften schon lange bekommen“. Lufthansa bietet höchstens 16 Prozent. Deshalb gingen die meisten der 4.200 Piloten des „Kranichs“ gestern „on strike“.

Wegen des von Mitternacht bis 12 Uhr mittags dauernden Pilotenstreiks, für den bei der Urabstimmung 96 Prozent der Mitglieder von Cockpit votiert hatten, fielen gestern 337 Flüge aus, von denen 30.000 Passagiere betroffen waren. Charterflüge in Urlaubsgebiete – etwa nach Antalaya in der Türkei oder nach Mallorca – starteten am Nachmittag mit Verspätungen von mehr als sieben Stunden. In langen Schlangen warteten die Reisenden vor den Schaltern; die meisten geduldig und ohne zu murren. Ein Streik sei doch „wie das Wetter, da hat man auch keinen Einfluss drauf“, sagte ein fröhlicher Mittfünfziger mit einem Ticket nach Palma de Mallorca in der Tasche. Doch nicht alle nahmen es so gelassen, trotz der belegten Brote und Getränkedosen, die von Servicekräften der Lufthansa verteilt wurden. Eine Strapaze war die Warterei vor allem für Familien mit kleinen Kindern. Da wurde schon einmal kräftig geflucht: Auf die Lufthansa im allgemeinen und auf die Piloten im Besonderen, die so viel Geld mehr haben möchten, „wie ich gerne im Jahr komplett verdienen würde“, schimpfte ein Familienvater, dem ein quengelndes Kind am Hosenbein hing. Und wo soll es hingehen? „In die Staaten.“

Dem Mann konnte geholfen werden. Die Star-Allianz machte es möglich. „Dallas? Miami? Kommen sie bitte mit!“, so holte eine Mitarbeiterin der Lufthansa frustrierte USA-Reisende aus den Warteschlangen. Die freien Plätze in den Maschinen von United Airways, dem US-Partner von Lufthansa in der Star-Alliance, wurden mit Lufthansa-Passagieren aufgefüllt. „Das hat für einige Entlastung gesorgt“, sagte ein Sprecher der deutschen Fluggesellschaft. Viele nahmen den Zug, denn die Lufthansa-Tickets waren gestern auch auf allen europäischen Bahnstrecken gültig, wo die Bahn flexibel Sonderzüge eingesetzt hatte. Die Bahn als Streikbrecher? Mehr als das ärgerten sich einige Piloten über die „Kollegen“ vom Lufthansa-Management, die sich hinter den Steuerknüppel klemmten und so dafür sorgten, dass in Frankfurt wenigstens 15 Maschinen abheben konnten.

Einen ersten Erfolg verbuchten die Piloten gestern: Die nächsten Verhandlungen wird es bereits am Montag geben. Dennoch verkündeten sie kämpferisch, dass es am Donnerstag wahrscheinlich zum ersten ganztägigen Streik kommen werde.

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