: Messer vor Gericht
■ Landgericht: Nur Körperverletzung
Der Wachmann der Großen Strafkammer des Bremer Landgericht hat seine Welt in der Hose – einfach und bunt steckt sie im Hosenbund, die Bildzeitung. Er musste gestern auf den 24-jährigen Holger D. aus Bremerhaven aufpassen, dem „bedingter Tötungsvorsatz“ bei einer Messerstecherrei in November 2000 vor der Diskothek Aladin vorgeworfen wurde.
Der Tathergang: Der muskelbepackte Holger, der sich selber als jemanden beschreibt, „der sich leicht aufregt“, hatte „Streß“ in der Gardrobe des Aldin. Zwischen dem Angeklagten und dem im Zeugenstand provokant auftretenden Opfer René kam es zu einer Schlägerei. Holgers Lippe platzte, Blut floss. Türsteher Hasan setzte Holger vor die Tür, Rene und seine Freunde blieben in dem Tanzschuppen. Unklar ist, ob der Angeklagte der Clique von René beim Verlassen der Disko auflauerte oder sie durch Zufall traf. Unklar ist auch, wer den Tumult provozierte. Klar ist, es kam damals zu einer Art „Umarmung“ der beiden kräftigen, kurzhaarigen Raufbolde, Holgers Taschenmesser sprang aus dem Schaft, traf René zwei Mal am Rücken. Renés Kumpel David wollte helfen, bekam einen Stich am Arm. Als der Täter merkte, was passiert war, versuchte er zu fliehen.
Die Vorwürfe, Holger sei mit gezücktem Meser auf die Gruppe losgegegangen und Drohsprüche wie „ich bring dich um“ waren vor Gericht nicht beweisbar. Pflichtverteidiger Gerhard Baisch spricht im Abschlusslädoyer von dem „Schlimmsten, was ich an Biographischen im Gericht gehört habe“. In der Tat wirkt das Urteil, gefährliche und fahrlässige Körperverletzung mit 2 Jahren und 10 Monate Strafe ohne Bewährung, wie eine taurige Fortsetzung dessen, was in einer freudlosen Kindheit begann. Vater im Knast wegen sexueller Nötigung von Minderjährigen, Mutter heroinabhängig, ging zeitweise auf den Strich. Holgers Heroinkonsum begann mit zwölf, mit 15 der erste Entzug. Es folgten schwere Starftaten, Einbrüche, mehrere Haftstrafen im Jugendvollzug, erneuter Entzug. Immer wieder zerbrachen Beziehungen. Alkohol und „weiche“ Drogen halfen, die Probleme zu verdrängen.
Das psychologische Gutachten, das erst jetzt erstmalig erstellt wurde, überrascht nicht. „Gefühl der inneren Leere, kann andern nicht vertrauen, emotional instabil“. Bewährunghelferin Miriam De Vries hat eine Bitte an das Gericht: „Sorgen Sie dafür, dass Holger seinem großen Wunsch nach einem normalen Leben näher kommt. Er möchte so gerne seinen Hauptschulabschluß nachmachen“. sand
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