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Die Liebe zum Wort

Wer chattet, ist schöner und jünger als im wirklichen Leben, die schnell hingetippten Sprachfetzen sind verführerischer als jeder Flirt in der Disko

von JUTTA HEESS

(pechlucky hat den Kanal betreten)

susa-sue: will hier jemand chatten????

pechlucky: hi!

intelligence23*: hi pechlucky!

susa-sue: hallo pech!

So schnell kann es gehen. Kaum habe ich den kleinen Zeh in den Chat-Room gesetzt, werde ich auch schon niedergegrüßt. Aber das gehört. zur Chattikette. Jeder Neuankömmling wird freundlich aufgenommen, anders als im wirklichen Leben, wo man auch mal die Straßenseite wechselt – im Chat ist Höflichkeit angesagt. Zu Beginn zumindest. Offenbart der Gesprächspartner allerdings unerwünschte Eigenschaften, kann es mit der Freundlichkeit schnell zu Ende sein.

annabella: bist du m oder w?

pechlucky: w

(annabella verlässt den Raum)

Da hat sich die schöne Anna etwas anderes erhofft und wird wohl in einem anderen Chat-Room ihr Glück versuchen. Ihre Chancen, einen Traumprinzen per Web zu finden, stehen nicht schlecht. Laut einer Umfrage des Emnid-Instituts sind 50 Prozent der Deutschen davon überzeugt, das Internet sei zum Kennen- und Liebenlernen bestens geeignet. 9 Millionen Deutsche nutzen es regelmäßig zur Kontaktpflege – und nicht wenige Internetflirts endeten vor dem Traualtar.

Sie klickt mich, sie klickt mich nicht – das Web als modernes Gänseblümchen. Langzeitstudien aus den USA belegen, dass die Verliebtheit in einen virtuellen Fremden größer sein kann als die in einen realen Partner. Der Reiz des Unbekannten ist groß, zudem kann man sich im Chat schöner und intelligenter darstellen, als man in Wirklichkeit ist.

spacecowboy: ich bin 27, groß, schlank und habe dunkle haare und braune augen. und du?

juhee: bin klein, dick, schon über 35 und habe augenringe.

spacecowboy: ach so.

Ich falle doch nicht auf diese Aufschneiderei rein! Außerdem bin ich nicht unterwegs, um mich zu verlieben. Nichts ist leichter, als sich im Cyberspace eine falsche Identität zuzulegen. Und den Nicknamen kann man wechseln wie die Unterhose. „Auch sozial Ängstliche können problemlos Kontakt aufnehmen, da es keine wirklichen Attraktions- und Selektionsmerkmale gibt“, erklärt der Psychologe André Hahn, der bei der Internetfirma Pixelpark Onlinemarktforschung betreibt. Das heißt also: Im Schutz der Anonymität des Chat-Rooms können sich auch Schüchterne einmal draufgängerisch geben. Cyrano de Bergerac hat das schon vor knapp 400 Jahren im realen Leben vorgemacht: Verzaubern durch Worte. Es ist tatsächlich erstaunlich, wie schnell man von rasch dahingetippten Halbsätzen in den Bann gezogen wird. Und dann nichts wie ab ins Separee. Hier kann geflüstert und gesäuselt werden, denn nur der ausgewählte Partner liest das Geschriebene.

juli: wie flüstert man denn?

tim_ffm: leise tippen ;-)

Und schon hat Tim einen Sympathiepunkt. Dem noch einige folgten:

tim_ffm: das ist lustig mit dir. sollen wir uns mal richtig treffen?

juli: hm, ja, äh, von mir aus!?

Oder lieber doch nicht? Viel öfter, als Amors Mauszeiger ins Schwarze trifft, enden die leibhaftigen Treffen von Chat-Flirtern mit einer großen Enttäuschung. Man hat sich den anderen eben doch ganz anders vorgestellt. Wenn es mit den Menschen aus Fleisch und Blut nicht mehr klappt, flüchten immer mehr Internetfreaks ganz ins virtuelle Leben. Hier wird tage- und nächtelang gespielt, gemailt, gechattet und Cybersex praktiziert. Eine Studie der Berliner Humboldt-Universität ergab, dass es bereits rund 600.000 Internetsüchtige in Deutschland gibt. Die meiste Zeit verbringen sie in Chat-Rooms, besonders gefährdet sind Jugendliche unter 20 Jahren. Das bekommt man als Chat-Oma deutlich zu spüren.

matse: wie alt bist du?

jutta@kalkutta: 26, und du?

matse: 13

jutta@kalkutta: doppelt so jung wie ich!

matse: halb so alt eher. ;-)

Danke. Dabei habe ich mir schon drei Jahre vom Buckel runtergeschwindelt. Der, die oder das kleine Matse musste auch kurz darauf Hausaufgaben machen – zumindest sagte er das. Vielleicht wollte er aber auch nicht so gerne mit einem Mitglied der – aus seiner Sicht – Generation Klosterfrau Melissengeist chatten. Doch das Netz bietet Platz für alle. Und wer sich solche Erfahrungen ersparen will, trifft sich mit Gleichaltrigen und geht am besten in den Chat für Dreißigjährige. Oder Vierzigjährige. Oder Fünfzigjährige. Wer Glück hat, trifft sogar Gleichgesinnte in den Special-Interest-Chats. Allerdings sind diese Angebote häufig verwaist. Du bist im Raum Sport, Pechlucky. Du bist allein. Dabei hätte ich gerne über Doping im Radsport oder die neuen Volleyballregeln gefachsimpelt. Aber die Mehrheit der Chatter ist eher in Flirt- als in Diskutierlaune. In dieser schnellen, wortfetzigen Sprache mit ihren Emoticons und Akronymen lassen sich besser Stimmungen und Albernheiten als Inhalte vermitteln.

fortunato: wie heißt du wirklich?

ju: rat mal ;-)

fortunato: *grübel* julia

ju: *grins* nö aber der letzte buchstabe stimmt

fortunato: :-( *weiterrätsel* juanita??

ju: *rofl* nee, ganz falsch

Altmodische 50er-Jahre-Mädchennamen werden wohl untergehen. Fortunato kam nicht drauf. Beleidigt verließ ich den Chat-Room – und landete prompt in einem Politikerchat. CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer stellte sich zur Verfügung und wagte sich sogar vor eine Webcam, so dass der Nutzer sich an seiner Mimik ergötzen konnte.

ju_nge_union: auf ihrer homepage seht: „wir müssen so reden, dass uns die leute an den stammtischen verstehen.“ was meinen sie damit? wie wollen sie reden?

Gast Laurenz_Meyer: ich will reden, wie ich normal rede, so als wenn wir uns privat unterhalten

Aha, so als wenn. Nee, danke, lieber nicht. Da kann ich mir schönere Unterhaltung vorstellen. Zum Beispiel in den zahlreichen Expertenchats. Dort sitzt ein Fachmann am anderen Ende der Leitung und gibt hilfreiche Tipps zum Aktienkauf oder bei Kinderkrankheiten. Fast alle TV-Anstalten, Zeitungen und Zeitschriften bieten diesen Service an – natürlich mit dem Ziel der Kundenbindung im Hinterkopf. Das Highlight für die junge Chat-gemeinde sind jedoch Promi- Chats, in denen Schwärmer ihrem Star endlich mal sagen können, wie toll sie ihn finden.

Aber aus diesem Alter bin ich ja raus – es sei denn, es findet irgendwann ein Chat mit Thurston Moore statt. Bis dahin muss ich mit meinen Kollegen vorlieb nehmen:

chatta: um 13 uhr?

donnie: ja, klaro. vor der kantine. und sei mal pünktlich. ;-))

chatta: und ob. die chatterei macht mich fertig.

donnie: na dann: chatmatt!

chatta: yep. cu. *afk*

*Nicknamen von der Redaktion geändert! ;-)

pechlucky@gmx.de

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