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Venushügel, Kosovo

Premiere des Stückes „GAL-Wahlkampfauftakt“ im Thalia-Theater: Zwei Hauptrollen und von Liebe bis Krieg alles dabei  ■ Von Peter Ahrens

„Grüner Lebensstil ist eine liebenswerte Mischung aus Anderssein, Altmodischsein und Modern-sein.“ (Antje Radcke, Hamburg Spezial. Das Lifestyle-Magazin, Ausgabe 1/2001)

Das Theaterereignis der Saison: Andrang schon vor der Kasse des Thalia. Manche haben gar keine Karten mehr bekommen. Die haben Schilder in der Hand, auf denen steht: „Georgette singt, Joschka bombt.“ Oder: „Löffelenten in den Senat.“ Ein Mann hält den BesucherInnen sein Schild fast ins Gesicht. „Neo-Spießer“ steht da drauf, und er lässt keinen Zweifel daran, wen er damit meint. Die Leute, die für diesen Abend 25 bis 75 Mark Eintritt bezahlen, um sich das Stück des internationalen Erfolgsautors Joseph Fischer „GAL-Wahlkampfauftakt“ zu Gemüt zu führen. Oder ist das auch schon Teil der Inszenierung? Spannung.

Die erste Reihe im Parkett ist die 75-Mark-Reihe. Besetzt von der örtlichen Parteispitze, die Rund-Mail des Landesvorstandes im Vorfeld im Sinn, man solle doch bedenken, dass die Plätze in Reihe eins die prominentesten seien. Es sind ja auch viele FotografInnen und Kameraleute da. Sie sind alle gekommen: Alexander Porschke, Farid Müller, Kurt Edler, Willfried Maier – die ganze Garde der großen Hamburger Akteure. Aber nicht nur die erste – alle Reihen sind ausverkauft. Das Publikum hat sich in Schale geworfen. Das Schauspiel kann beginnen.

Das Bühnenbild, bewusst karg gehalten. Im Hintergrund ein Thron, über den ein roter Stoff gelegt ist, vielleicht Sinnbild für die Macht, die GAL hält einen Zipfel von ihr in Händen. Sehr gekonnt, vielleicht ein bisschen zu symbolüberladen. Der Regisseur hat deswegen die klare Botschaft in Form einer großen Leinwand dagegen gesetzt: Bündnis 90/Die Grünen.

1. Szene: Musik: All you need is Love. Auftritt der Erzählerin. Gespielt von der Hamburger Actrice Krista Sager. Nicht ganz textsicher bedauerlicherweise, der eine oder andere Hakler, aber sie stolpert immerhin nicht. Sie hat nur eine Nebenrolle an diesem Abend, vielleicht kommt sie auch damit nicht zurecht. Immerhin führt sie in das Stück ein: Der Bösewicht heißt Schill. Da gibt es offenbar noch jemand anderen, einen gewissen von Beust, aber – ein echter Clou der Inszenierung – beide treten an diesem Abend gar nicht auf. Sie existieren nur in dem, was über sie geredet wird. Godotmäßig. Anleihe beim absurden Theater.

2. Akt. Der männliche Hauptdarsteller. Der große Fischer. Auf allen Bühnen der Welt zu Hause. Triumphe in Israel, am Broadway, sich nicht zu schade, auch mal Fronttheater zu machen. Die Bühne ist die seine. Alle anderen nur Stichwortgeber. Die Regie hat sich was ausgedacht: Im Publikum sitzen Leute, die mitten im großen Fischerschen Monolog Cassettenrecorder einschalten, auf denen offenbar eine Fußballreportage abgespielt wird. Einer aus dem Auditorium darf auf Stichwort „Kriegstreiber“ rufen. Die Grenzen zwischen Bühne da oben und Volk da unten verschwimmen aber nur scheinbar, das Publikum bleibt Souffleuse für den Wortgewandten, ein ganz geschickter Kunstgriff der Inszenierung. Aus dem Rang rieselt es Zettel mit einem King Lear-Zitat. Der Mime nimmt es auf und sagt: „Was die Hamburger Wahl anbetrifft, habe ich eher einen Sommernachtstraum.“ Hier entwickelt die Aufführung einige ihrer dichtesten Momente. Mehrere Vorhänge, Blumen, Beifall, nur wenige Buhs.

Zum Stück: Es handelt von den großen Themen der Menschen: Friede, Krieg, Gerechtigkeit, Macht und wie sie verändert, Hochmut, Verlustangst, „der Drache der Angst, groß wie ein Haus“, wie es irgendwann der Autor mal Georgette Dee sagen lässt. Alles ist zu finden, im Schlussakt des Abends auch die Liebe. Der Beifall wird immer stärker, Georgette Dee steht vorn und singt. Vom Venushügel und vom Spargelstechen. Es gibt keine Buhs mehr, alles andere war doch nur Vorspiel auf dem Theater.

Rauschender Applaus. Anschließend gibt es Prosecco und Sekt im Mittelrang.

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