: Schnittchen schon auf Weltniveau
Die Deutsche Bank als Musterbeispiel für die deutsche Industrie: Bei teurem Wein werden Schulen und Hochschulen massiv kritisiert. Gleichzeitig verpasst man mit kümmerlichem Sponsoring den Kulturwandel im Bildungssystem
BERLIN taz ■ Obwohl das Essen ganz ausgezeichnet ist, schmeckt Herrn Professor dieser Bildungsgipfel gar nicht. Manfred Riedel stochert in Lachs an Sesam herum und ist empört. Es missfällt dem Philosophen aus Halle, dass die Deutsche Bank hier das Thema „Bildung im Wettbewerb“ auf Englisch diskutieren lässt. Und dass sie als Conferencier den Chefsprecher der „Tagesschau“, Jo Brauner, angeheuert hat. Sündhaft teuer!, schüttelt Riedel den Kopf. Auch andere Gäste wundern sich: Wie viel Geld gibt die Deutsche Bank hier aus?
Berlin, Unter den Linden, das Veranstaltungs-Atrium der Deutschen Bank. Die „Alfred-Herrhausen-Gesellschaft für internationalen Dialog“ nutzt ihre Jahreskonferenz, um die Bildungskrise mit Silberbesteck zu sezieren. Vorstandssprecher Rolf-E. Breuer lässt kein gutes Haar an Schulen und Hochschulen. Unsere Top-Leute, sagt der Boss der zweitgrößten Bank der Welt spitz, kommen nicht mehr von hiesigen Hochschulen.
„Sie können doch nur vermarkten, was produktfähig ist“, assistiert Walter Homolka mit einer abfälligen Bemerkung über die akademische Ausbildung. Homolka ist Geschäftsführer der Herrhausen-Gesellschaft und eines jener deutschen Wunderkinder, die man hier so schmerzlich vermisst. Homolka hat in seiner Studienzeit Abschlüsse und Doktortitel regelrecht gesammelt – und nebenbei als Investmentbanker gearbeitet. Jetzt deklamiert er, als wolle er einen Hexameter zum Vortrag bringen: „Das ist auch ein Problem der Qua-li-tät.“
Der Spott der Deutschen Banker über die Situation der Universitäten zwischen Kiel und Konstanz ist das eine. Das andere ist ihr Engagement, an dem beklagten Zustand etwas zu ändern. Im Atrium wabert die Frage: Könnte es sein, dass Breuer und seine Herrhausen-Gesellschaft Weltniveau allenfalls bei den Schnittchen erreichen?
Die Deutsche Bank überlässt zum Beispiel dem Stifterverband für die deutsche Wissenschaft jährlich 5,7 Millionen Euro. Die Essener Akquisiteure von Sponsorengeldern verteilen die Millionen hinterher unter den Hochschulen. Noch einmal 1,1 Millionen Euro gehen direkt an die Universität Witten/Herdecke und den dortigen „Deutsche-Bank-Lehrstuhl für Familienunternehmen“. Mit diesen Ausgaben sind wir, weiß Walter Homolka, „in der Spitzengruppe deutscher Unternehmen“.
Stimmt. Insgesamt hat der Stifterverband im vergangenen Jahr nämlich nur rund 30 Millionen Euro an Sponsorengeldern erhalten – aus der gesamten deutschen Wirtschaft. Weitere knapp 70 Millionen Euro kamen für die Unis aus Zinserlösen jener Stiftungen hinzu, die der Stifterverband verwaltet. Für deutsche Verhältnisse ist das Engagement der Deutschen Bank also respektabel.
Homolka arbeitet freilich bei einer Bank, die zwar Deutsch heißt, aber inzwischen Englisch spricht – nicht nur auf Konferenzen. Die Hälfte ihrer 98.000 Angestellten sind international. Nicht wenige arbeiten in den USA bei Bankers Trust, den die Deutsche für einen Haufen Geld geschluckt hat – auch um die Bank-Kultur zu verändern.
Die jüngsten Berichte über die Spendenkultur in der Geschäftsregion Nordamerika dürften für Walter Homolka daher nicht uninteressant sein: September 2000 – John D. Holingsworth vermacht Immobilien im Wert von knapp 200 Millionen Dollar an die kleine Furman University in South Carolina. Im Mai diesen Jahres übertrifft die Hewlett Foundation Holingsworth noch: Mit 400 Millionen Hewlett-Dollar für die Stanford University.
Insgesamt registrierte das Foundation Center 27,6 Milliarden Dollar für Bildung, Soziales und Kultur allein aus Stiftungen. Ein feines Ergebnis – trotz kleinem Börsencrash an der Wall-Street und Konjunkturdelle.
Homolka aber ist noch ganz in Deutschland und ärgert sich. Eine tageszeitung hat ungerechterweise die gigantische Bilanzsumme der Deutschen Bank in Relation gebracht zu ihren kümmerlichen Investitionen in öffentliche Hochschulen: 940 Milliarden Euro zu 7 Millionen Euro. „Ein Vergleich zur Bilanzsumme ist sachlich nicht zu rechtfertigen“, schimpft Homolka. Man dürfe natürlich nur vom Gewinn ausgehen, der bei der Deutschen Bank 4,9 Milliarden Euro betrage. Und dann ihr gesamtes gesellschaftliches, kulturelles usw. -Engagement daneben stellen, das bei 43 Millionen Euro liege. Das macht dann knapp ein Prozent. Und ebendieses eine Prozent des Gewinns solle philanthropischen Zwecken dienen. So sei die Regel. Auch in den USA.
Es gibt keine rechte Regel in den Staaten. Sondern eben eine andere Kultur, ausgedrückt vielleicht am besten in der „Gospel der Wohlfahrt“ von Andrew Carnegie. Kapitalismus, Reichtum, das war für den Mann mit der Tellerwäscher-wird-Millionär-Karriere eine wunderbare Sache. Aber der Wohlfahrts-Überschuss der Einzelnen, so meinte er, müsse dem Wohl der Allgemeinheit dienen – in Form von Spenden für höhere Ziele.
So emphatisch sehen das die US-Amerikaner heute wohl nicht mehr. Aber sie sind bereit, für übergeordnete Ziele zu spenden – in der Regel mehr als ein Prozent. Das „Center on Philantropy“ der Indiana University hat herausgefunden, dass die typische Mäzenatenklientel (über 100.000 Dollar Jahreseinkommen) in Kalifornien im Schnitt 1,8 Prozent ihres Einkommens für charity, für soziale Zwecke ausgibt. Eine sehr schmale Schicht von fünf Prozent der echten Spitzenverdiener (über 1 Million Dollar) spendiert gar zwischen 14 und 20 Prozent ihres Einkommens. Private Stiftungen sind übrigens gesetzlich gezwungen, fünf Prozent ihres Vermögens für den Stiftungszweck auszugeben.
Anträge selber schreiben
Homolka mag indes gar nicht über dieses eine Prozent rechten. Er betrachtet die deutschen Verhältnisse auch ökonomisch, als Angebots- und Nachfragethema: „Wir können nur Anreize geben“, sagt er – und bedauert, dass die Unis die Angebote der Bank selten wirklich professionell nachfragen. Deutschlands Hochschulen befänden sich in einer Mittelmaßstimmung. Viele, so klagt er, „sind nicht in der Lage, ein Projekt so darzustellen, dass es für Drittmittelgeber attraktiv ist“. Es sei sogar schon vorgekommen, dass er, der für die Kulturstiftung zuständige Vorstand der Deutschen Bank, Anträge betroffener Unis selbst habe schreiben müssen. „Es ist aber nicht unsere Aufgabe, die deutsche Bildungslandschaft zu verändern.“
150 Spendensammler
Bei den Hochschulen herrscht in der Tat oft noch wenig Verständnis für den Austausch zwischen privatem Kapital und öffentlichem Bildungssektor. Große Einrichtungen wie die Freie Universität Berlin etwa beschäftigen nur eine Handvoll Leute, die ausschließlich für die Akquise von Kapital zuständig sind. Selbst staatliche Hochschulen vergleichbarer Größe in den USA beschäftigen dagegen 150 gut ausgebildete Spendensammler – vom Studenten, der telefonisch den Kontakt zu gerade Graduierten aufnimmt, bis zum Spezialagenten, der ganze Wochenenden mit potenziellen Großspendern verbringt, um eine halbe Million an Land zu ziehen.
Dennoch könnte es sein, dass Homolka und der private Sektor gerade einen Kulturwandel verpassen. Nicht nur einzelne Unis professionalisieren ihre Kapital-Akquise. Inzwischen werden ganze Hochschul-Regionen darauf getrimmt, den Ausweg aus der Falle der nur öffentlichen Finanzierung zu finden. Niedersachsen etwa wird den Unis erlauben, sich in Stiftungen zu verwandeln und so leichter Geld einsammeln zu können.
Damit gehen wichtige Weichenstellungen einher, die ganz dem „Bildung im Wettbewerb“-Motto der Herrhausen-Gesellschaft entsprechen. Hochschulen dürfen sich Studenten selbst auswählen, die Professoren verjüngen und nach Leistung bezahlen, auch die ersten Kurzstudiengänge sind bereits eingeführt. Und selbst Studiengebühren, von der Industrie oft als Grundbedingung für Wettbewerb dargestellt, sind längst kein Tabu mehr. Gerade hat die derzeit höchste Kulturrepräsentantin, die Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, Annette Schavan (CDU), das bezahlte Studium gepriesen. Und sich einen Seitenhieb auf die Industrie nicht verkneifen können: Die öffentlichen Haushalte allein seien nicht in der Lage, exzellente Ausbildung zu finanzieren. Alles steht also bereit – bloß das Industriegeld fehlt noch.
Darüber aber wird bei Herrhausens einstweilen nicht debattiert. Noch geht es um die teuren Schnittchen. Philosophieprofessor Manfred Riedel will deswegen einen geharnischten Brief schreiben. Riedel ist Kuratoriumsmitglied der Herrhausen-Gesellschaft.
CHRISTIAN FÜLLER
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