: Gar nicht nett
Die Palästinenser verhalten sich nicht so, wie Israels Linke es wünschen. Israels Rechte träumen von der Apokalypse. Also bleibt nur eine kleine Hoffnung: Waffenstillstand
Israelis und Palästinenser haben aufgehört, nett zueinander zu sein. Dabei sah doch alles so gut aus. Oslo im Nahen Osten. Der Nahe Osten in Oslo, Teil des befriedeten Nachkriegseuropa, wo einer der letzten Ausläufer der Nachkriegsordnung nun auch zur Ruhe kommt. Aber noch ist es nicht so weit. Noch bringt man sich ob der verschiedenen Erinnerungen und Besitzansprüche um. Im befriedeten Europa schüttelt man dann nur noch den Kopf, wenn sich Menschen wegen Boden und Fahne in Stücke reißen. Dort hat der Kalte Krieg für Friede und Freude gesorgt. Hier noch nicht.
Was ist also passiert? Der Traum vom „kosmopolitischen Nahen Osten“ ist erst mal ausgeträumt, der Schöpfer dieses Traums als Außenminister des Albtraums an der Einheitsregierung beteiligt. Es gab diesen kosmopolitischen Moment, in dem viele Israelis sich imstande sahen, ihre eigene partikulare Existenz in einen größeren Rahmen zu setzten und das Leiden der anderen Seite anzuerkennen. Diese emotionale und kognitive Einstellung war ein Luxus, den sich bestimmte Teile der israelischen Zivilgesellschaft leisten konnten. Es ging ihnen gut. Sie wurden langsam zu Weltbürgern. Begriffe wie „Menschenrechte“ oder „ungerechtes Leid“ der geschlagenen und unterdrückten Palästinenser kamen zur kosmopolitischen Supermarktskost dazu.
Damit wurde auch das kollektive Gedächtnis kosmopolitisiert, das die eigene Nation nicht mehr als Helden-, sondern als Sündernation versteht. Das versteht man gut im befriedeten Europa und machte diese Israelis deswegen auch so sympathisch für „gute“ Europäer. Nachkriegseuropa im Nahen Osten. Nur der Konflikt, die Besatzung, die Straßensperren, der militärische Reservedienst und die gelegentliche Bombe erinnerten die Menschen hier an die Alte Welt. Deswegen war man bereit, die Neue Welt zu begrüßen. Aber wie es sich eben für die Moral der Neuen Welt gehört, mussten die Palästinenser entpolitisierte unschuldige Opfer bleiben. Aber die wollten nicht mitspielen und verdarben den friedenswilligen Israelis einfach den kosmopolitischen Spaß.
Aber wo der Frieden entpolitisiert wird, kann es bis zum Krieg nicht weit sein. Hier geht es eben um mehr als um Lichterketten und aus dem Fenster hängende Bettlaken. Hier geht es um Territorium, Identität, Raum und ums Überleben. Keiner kann sich mehr den verwöhnten Pazifismus erlauben. Besonders nicht, wenn einem in die Disko gehende Kinder in die Luft gesprengt werden.
Ja, die palästinensische Führung stürzt sich von einem Fehler in den anderen. Sie hätte wohl mehr Einsicht in die eigene Schwäche zeigen sollen, vielleicht sich etwas kompromissbereiter geben, wenn man es mit einer der stärksten militärischen Mächte anlegt. Vor allen Dingen haben sie es nicht verstanden, ihre Schwäche auf die Dauer in der globalen Zirkusarena in gute politische Opferwährung umzutauschen. Jede Bombe kehrte das virtuelle Spiel von Schwachen und Starken ins Umgekehrte. Und die israelische Rechte wollte die bedingungslose Kapitulation aller Araber. In ihrer Fantasie sollte das historische Unrecht allen Unrechts in Europa durch eine erneute Kapitulation wieder gutgemacht werden. Was gut genug für die Alliierten war, sollte dann auch gut genug für Israel sein.
Aber die Palästinenser wollten das große und gewagte Europaspiel nicht mitspielen und stellten der israelischen Friedensbewegung eine Falle. Für viele israelische Friedensbewegte lag die Ursache des Konflikts im Krieg von 1967, den damals besetzten Gebieten und den dort nach 1967 errichteten Siedlungen. Wie schön wäre es doch, wenn die Palästinenser damit einverstanden wären, 1967 rückgängig zu machen, und dort einen völlig von Israel kontrollierten autonomen Staat errichteten. Und so wunderten sie sich, als die palästinensische Führung zum Spiegel der kompromisslosen Rechten in Israel wurde.
Das israelische Friedenslager lebte im Wunderland, wo Kompromisslosigkeit nur als Privileg der Reaktionäre galt. Die israelische Rechte machte nie wirklich einen Unterschied zwischen 1967 und 1949, dem Jahr der Waffenstillstandsgrenzen, die für viele andere Israelis die endgültigen Grenzen sein sollten. Für die Rechte war der Unabhängigkeitskrieg noch nicht vorbei und damit die Grenzziehung noch nicht endgültig. Ostjerusalem, Hebron und Nablus, das auf historischer Erinnerung eigentliche, wahre Israel, wurden 1967 nicht erobert, sondern befreit. Aber was die israelische Rechte kann, können die Palästinenser auch und vielleicht sogar besser. Wenn der Konflikt nicht im Jahre 1967 liegt, wenn es sich also nicht um die damals eroberten Gebiete und Siedlungen handelt, sondern um 1948, ja dann wurde während der Verhandlungen das so genannte Recht auf Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge vehement ins Spiel gebracht.
Das war dann auch der Punkt, wo die israelische Linke passte und das Spiel der Rechten überließ, die es sowieso viel besser beherrscht. Die Opfer hörten auf, „unschuldig“ zu sein. Sie hatten Ansprüche. Sie wollten das in ihren Augen angerichtete Unrecht von 1948 mit dieser Forderung in die Debatte bringen. Natürlich wird irgendwann der Tag kommen, wo Israelis zusammen mit Europäern und Amerikanern Unrecht wieder gutmachen werden und die Flüchtlinge materiell entschädigt werden. Denn man weiß schon lange, dass es heutzutage möglich ist, historisches Gedächtnis materiell zu entschädigen.
Die israelische Linke träumte davon, dass, wenn sie nett zu den Palästinensern ist, diese aus Dankbarkeit auch nett sein werden. Wollten sie aber nicht. Die israelische Linke dachte an das Oslo-Abkommen als den historischen Kompromiss der Palästinenser, wo diese nun endgültig die Existenz Israels innerhalb der Grenzen von 1967 anerkennen. Aber so einfach war es nicht.
Die arabischen Staaten haben das Ihre dazu beigetragen, indem sie alt-neue antisemitische Parolen wieder ans Land zogen, um jedem, der es wissen wollte, zu zeigen, was der wirkliche Konflikt ist, nämlich der Kampf gegen den jüdischen Teufel. Damit versperrten sie der israelischen Linken jede weitere Möglichkeit der Solidarität mit ihnen. Schwer war das überhaupt nicht. Das wusste die israelische Rechte schon lange, und die Linke konnte nur noch kopfschüttelnd kleinlaut zugestehen, dass sie sich vielleicht in den Palästinensern geirrt hat. Sie sind in der Tat keine netten Menschen.
Wie geht es also weiter? Die Rechte träumt von der apokalyptischen Endzeit, und die Linke hofft täglich, nicht in die Luft zu gehen. Ariel Scharon, der sicher nicht in der Nähe von Gandhi einzuordnen ist, bleibt nun die einzige Hoffnung derjenigen, die in der bürgerlichen Jetztzeit leben wollen. Was also bleibt, ist der Waffenstillstand, ein kleines politisches Konzept, das zwischen den Eintracht der Schafe und Wölfe einerseits und den apokalyptischen Reitern andererseits steht. Auch das ist eine Hoffnung. NATAN SZNAIDER
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