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Mund zu, Mund auf

Stammtischparolen sind unerträglich. Aber wie kann man ihnen Paroli bieten? In speziellen Seminaren lässt sich das lernen

von ABIGAIL WEBER

„Die Ausländer nehmen uns die Arbeit weg.“ – „Die Strafgesetze sind viel zu lasch. Wir brauchen endlich wieder die Todesstrafe.“ – „Früher konnte man wenigstens noch ohne Angst nachts über die Straßen gehen.“ – „Homosexualität ist einfach widernatürlich.“ – „Die Asylanten kommen nur aus wirtschaftlichen Gründen zu uns.“ – „Die meisten Arbeitslosen sind nur zu faul, wer Arbeit will, bekommt sie auch.“ – „Emanzipierte Frauen sind in sexueller Hinsicht zu kurz gekommen.“

Jeder und jede hat derartige fremdenfeindliche, sexistische oder diskriminierende Sprüche gelegentlich schon einmal gehört. Man weiß, dass solche Aussagen wahrlich nicht intellektueller Brillanz entsprungen sind. Umso erstaunlicher, dass die eigene Brillanz den „Sprücheklopfer“ regelmäßig nicht beeindruckt oder auch nur erreicht: Sachliche Argumente prallen einfach ab, werden ignoriert. Man fühlt sich als „hilfloser Verlierer“, wie Stefan sagt, der als pädagogischer Mitarbeiter eines Fußballfanprojekts immer wieder mit ausländerfeindlichen Sprüchen konfrontiert ist. „Es bringt überhaupt nichts, wenn man versucht, rational zu argumentieren.“

Hier setzt die Arbeit von Klaus-Peter Hufer an. Der Politologe ist seit langem in Nordrhein-Westfalen in der Erwachsenenbildung tätig und veranstaltet Seminare, die ein „Argumentationstraining gegen Stammtischparolen“ anbieten. Sein gleichnamiges Buch mit Materialien zur Durchführung solcher Seminare (siehe Randspalte) ist bereits in dritter Auflage erschienen, die Seminaridee ist, so Hufer, inzwischen zum „Selbstläufer“ geworden.

Auslöser für Hufers Initiative war das Aktionsprogramm gegen Rechtsextremismus, das die nordrhein-westfälische Landesregierung Mitte der Neunzigerjahre beschloss. Darin wurden die Städte und Gemeinden aufgefordert, selbst initiativ zu werden. Hufer, der als Fachbereichsleiter für Geistes- und Sozialwissenschaften an der Volkshochschule in Viersen arbeitet, konzipierte sein Trainingsseminar, das die Volkshochschulen des Landes nunmehr als ihren Beitrag zur Erwachsenenbildung gegen Rechtsextremismus verstehen.

Die „Stammtischparole“ steht in Hufers Seminaren als Synonym für platte Sprüche, aggressive Rechthaberei, kategorisches Entweder-Oder und dezidierte Selbstgerechtigkeit – also für jegliche vorurteilsbehaftete Weltdeutung. Sie geht zumeist einher mit aggressiven Verhaltensweisen und der Neigung zum Autoritarismus, also dem Bedürfnis, „die Welt in Schwarzweißschablonen einzuteilen und feindselig Ausschau zu halten nach Menschen und Verhaltensweisen, die den eigenen Maßstäben nicht entsprechen“, erläutert Hufer.

Und Stammtischparolen sind gefährlich, denn sie sind die Brutstätte menschenverachtender politischer Ideologien und Programme und stellen oftmals das Umfeld des Rechtsextremismus dar. Sie können demagogisch aufgeladen und instrumentalisiert werden – Rechtsextremisten bieten bekanntlich einfache Lösungen für komplexe Fragen an (zum Beispiel in der Ausländerpolitik: „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus!“).

Hufers „Argumentationstraining“ geht von der Einsicht aus, dass Lernen nicht durch Belehrung geschieht. Stattdessen sollen die TeilnehmerInnen in spielerischer Auseinandersetzung mit der Realität, durch Ausprobieren und gemeinsames Nachdenken „Handlungswissen“ erwerben. Dabei soll auch die Redefähigkeit verbessert und geübt werden, die eigene Position mit starken Argumenten zu vertreten.

Inhaltlich ist das Argumentationstraining zwischen politischer Grundinformation, Psychologie, Rhetorik und Selbsterfahrung anzusiedeln. In Rollenspielen – die sich als besonders effektiv erwiesen haben – simuliert man unter anderem erlebte Argumentationsnöte mit dem Ziel, mehr Selbstsicherheit bei der Konfrontation mit aggressiven und aggressiv vorgetragenen Parolen zu erlangen.

Die Hilflosigkeit im Umgang mit solchen Sprüchen ist es typischerweise, die Menschen zu einer Seminarteilnahme bewegt. Ob Heizungsmonteur, Großmutter eines farbigen Enkelkindes, Kommunalpolitiker, Rentner oder Hausfrau: alle TeilnehmerInnen erleben gerade in den Rollenspielen, wie schwer es ist, gegen Stammtischparolen Position zu beziehen, so Hufer, „weil hinter diesen Parolen ein in sich geschlossenes Menschenbild und Politikverständnis steht“.

Viele der TeilnehmerInnen, sagt Hufer, „blockiert zudem der Selbstvorwurf, gar nicht in der Lage zu sein, angemessen reagieren zu können, und keine ausreichenden Informationen zu besitzen“. Ein erster wichtiger Schritt sei es deshalb, zu erkennen, dass es in der Psyche derjenigen, die solche Parolen äußern, und an der Struktur von Stammtischgesprächen überhaupt liegt, wenn man nicht sofort, schon gar nicht mit rationalen Argumenten, reagieren kann.

„Eine Diskussion würde nur dann entstehen“, erläutert der Bielefelder Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann, „wenn einer aus den eigenen Reihen widersprechen würde.“ Ein Außenstehender hingegen hat kaum Chancen, in so eine Runde hineinzukommen, weil der Stammtisch typischerweise „gar nicht an einem gedanklichen Austausch interessiert ist, sondern nur daran, sich selbst zu bestätigen“ – zu bestätigen, dass man eine Gruppe ist, die schon immer zusammengehört hat und auch weiter zusammengehören will.

Hurrelmann, Direktor am Institut für Bevölkerungsforschung und Sozialpolitik, verweist zudem auf das Phänomen der „hierarchischen gruppendynamischen Festigung“. Gibt es in einer Stammtischrunde nur einen Wortführer, dann bedeute dies, dass nicht einmal eines der Gruppenmitglieder mit irgendeinem inhaltlichen Argument kommen könne – denn sobald jemand etwas gegen den hierarchisch höher Gestellten sagt, „fällt er schon aus dem Gruppenzusammenhang heraus“. In einer solchen Konstellation wäre es demnach nicht einmal möglich, innerhalb der Gruppe eine Diskussion entstehen zu lassen.

Was ist also nun zu tun, wenn man mit Stammtischparolen – wo auch immer – unmittelbar konfrontiert wird? Soll man schweigen, weil „Sprücheklopfer“ ohnehin kein Interesse an einem Gespräch, an einer Diskussion haben? Weil man von ihnen ignoriert wird und sich hilflos fühlt?

Klaus-Peter Hufer schlägt folgende Strategie vor: Zunächst muss versucht werden, bei einem Thema zu bleiben. Oftmals springt ein Maulheld von einem Thema zum nächsten: Ausländer, Kriminalität, Todesstrafe, Arbeitslosigkeit – alles wird in einen Topf geworfen. Eine weitere Gegenstrategie kann es sein, direkt nachzufragen. Strikt zu vermeiden sind Belehrung und jede Form von Überheblichkeit. Das schaffe, so Hufer, nur Abwehr, denn man tritt als Besserwisser auf.

Ebenfalls effektiv könne die Strategie des „subversiven Argumentierens“ sein: Der „Aufklärer“ benennt dabei die „Probleme, Seltsamkeiten, Abstrusitäten“ einer Ideologie und zeigt alternative Denkmöglichkeiten auf. Auf die Parole, es gebe zu viele Ausländer, kann man beispielsweise mit der Frage kontern, ob denn auch der aus einem Ausland stammende Spezialist, der eine lebensnotwendige Operation im Krankenhaus durchführt, ein Ausländer zu viel sei oder was denn aus Bundesligaclubs werden solle, wenn nur noch „Einheimische“ spielen würden.

Auch die Körpersprache hält Hufer für sehr wichtig. Wer sich etwa nach vorn beugt, macht sich entweder klein oder will den Gegenübersitzenden „herüberziehen“. Wer die Arme verschränkt, signalisiert Angst und Abwehr. Oftmals ist es auch wirkungsvoller, leise zu reden, als den anderen mit Lautstärke übertönen zu wollen.

Und: Wichtiger als der Sprücheklopfer selbst sind diejenigen in der Runde, die dem Gespräch nur zuhören. Sie können am ehesten überzeugt werden, da sie zum einen häufig unentschlossen sind und zum anderen beobachten, dass ihr Wortführer „angegriffen“ wird, also nicht unumstritten und allwissend ist. Auch wenn man dem Wortführer unterliegt, hinterlässt man doch zumindest Eindruck bei den übrigen Personen.

Eine Garantie, dass solche Gesprächsstrategien von Erfolg gekrönt sind, gibt es natürlich nicht. Das Seminar jedenfalls erfreut sich großer Beliebtheit: Mittlerweile hat Hufer in vier Durchgängen 65 TrainerInnen ausgebildet, die nun ihrerseits das Seminar durchführen. Zudem hat das Argumentationstraining den Rahmen der institutionalisierten Erwachsenenbildung der Volkshochschule verlassen, immer mehr private Initiativen bekunden Interesse. Kürzlich reiste Hufer übrigens ins österreichische Graz und hat auch dort den Kampf gegen Stammtischparolen aufgenommen.

ABIGAIL WEBER, 28, ist Juristin und beginnt im August ihr Rechtsreferendariat. Sie lebt in Bielefeld

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