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„Kochs Ziel ist jede Mühe wert“

Interview CHRISTIAN RATH

taz: Herr Berlit, was ist eigentlich neu an Ministerpräsident Roland Kochs Vorschlägen zur Sozialhilfe?

Uwe Berlit: Ich sehe nichts, was geltendes Recht nicht längst ermöglicht und fordert. Sozialhilfeempfänger sind bereits jetzt zur Annahme jeder zumutbaren Arbeit verpflichtet. Bei Arbeitsverweigerung kann man die Sozialhilfe kürzen oder streichen. Altbekannt ist auch der nicht gerechtfertigte Generalverdacht, arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger seien zumeist Drückeberger.

Und was ist mit der umfassenden Hilfspflicht der Sozialämter: Nach Kochs Plänen sollen die Ämter ja künftig alle Hürden beseitigen, die einer Arbeitsaufnahme im Wege stehen.

Auch das müssten die Behörden heute schon tun. Wenn sie aber, wie im US-Bundesstaat Wisconsin, sogar Kinderbetreuung und Suchttherapie bezahlen sollen, dann ist das natürlich viel teurer als die heutige Praxis. Kochs Vorschlag ist sicher kein Sparmodell.

Koch hat nun eine „Halbierung der Zahl der Sozialhilfeempfänger im arbeitsfähigen Alter“ angekündigt. Ist das realistisch?

Ich halte es für fraglich, aber das Ziel ist jede Mühe wert. Eine entspechend große Gruppe, etwa eine Million Menschen, kommt vielleicht für die Arbeitsprogramme in Betracht [siehe Kasten]. Ob man sie damit aber auf dem ersten Arbeitsmarkt unterbringt, ist eine ganz andere Frage.

Deshalb sind Städte und Gemeinden ja auch immer mehr dazu übergegangen, kommunale Beschäftigungsprogramme aufzulegen. Da sind, wenn es politisch gewollt ist, sicher noch Steigerungen möglich.

In etlichen Kommunen: ja. Dagegen werden Städte und Gemeinden, die schon jetzt aktiver sind, bald an Grenzen stoßen. Denn das örtliche Handwerk wird zu Recht sauer, wenn man die öffentlichen Beschäftigungsmaßnahmen immer weiter ausdehnt.

Da treffen sich wohl die Interessen des Handwerks mit denen der Sozialhilfeempfänger. Denn die dürften in der Regel auch nicht begeistert sein, wenn sie zur Zwangsarbeit verpflichtet werden.

Also, den Begriff Zwangsarbeit halte ich für nicht passend in diesemZusammenhang. Mit der Arbeit von Sklavenarbeitern im Faschismus können die heutigen Arbeitsprogramme wirklich nicht verglichen werden. Dort wurde die Menschenwürde missachtet, während es hier darum geht, die Menschenwürde zu achten, indem die Leistungsempfänger zur Selbsthilfe motiviert werden.

Zwangsmaßnahmen zum Schutz der Menschenwürde? Das ist aber auch eine etwas zynische Sichtweise. Schließlich ist kaum jemand freiwillig Sozialhilfeempfänger. Wer in der Lage ist, sich selbst zu helfen, wird dies in der Regel auch ohne Zwang tun.

Nein. Einerseits gibt es – wie bei Steuergesetzen – auch Missbrauch der Sozialhilfe. Ich schätze die Missbrauchsquote allerdings nur auf maximal 10 Prozent der Fälle. Hierzu gehören zum Beispiel Menschen, die schwarzarbeiten und nebenbei noch Sozialhilfe kassieren. Andererseits gibt es aber auch eine viel größere Zahl von Leistungsempfängern, die sind so frustriert, dass sie sich ein Leben jenseits der Sozialhilfe gar nicht mehr zutrauen. An die müssen wir rankommen.

Mit Zwangsarbeit, pardon, Arbeitszwang?

Mit Angeboten, die die Leute dort abholen, wo sie sind, und stabilisierend wirken, etwa weil sie wieder eine Regelmäßigkeit in den Tagesablauf bringen. Wer die viel gescholtenen Sekundärtugenden wieder lernt, kann auch Motivation zurückbekommen.

Sie halten also Roland Kochs Grundansatz für richtig?

Kochs Botschaft enthält ideologische Elemente, die ich ablehne. Sozialhilfe muss sich auch weiterhin am Bedarf der Betroffenen orientieren und nicht an ihrer „Gegenleistung“. Im Ergebnis entspricht sein Motivationskonzept aber dem richtigen Ansatz des seit langem geltenden Rechts. Wir haben kein Konzeptions-, sondern lediglich ein Umsetzungsproblem.

Aber selbst wenn das Konzept funktionieren sollte: Was fangen Leute dann mit ihrer neuen Motivation an, wenn sie am ersten Arbeitsmarkt doch keine Chance haben? Viele Sozialhilfeempfänger sind nun mal schlecht qualifiziert oder haben gesundheitliche Probleme. Wäre es da nicht sinnvoller, die Arbeitsangebote auf diejenigen zu konzentrieren, die die besten Chancen zum Übergang auf den normalen Arbeitsmarkt haben?

Nein. Der Staat darf niemand nach Nützlichkeitserwägungen abschreiben und links liegen lassen. Auch Menschen mit so genannten vermittlungshemmenden Merkmalen haben einen Anspruch auf Achtung ihrer Menschenwürde und Teilhabe an der Arbeitsgesellschaft. Selbst wenn hier die Erfolgsquote nicht so hoch sein mag: Diese Menschen haben eine gewisse Chance auf dem normalen Arbeitsmarkt. Schließlich gibt es auch heute viele Alkoholiker am Arbeitsplatz, die ein halbwegs stabiles Leben führen. Zentral ist für mich aber die faire Balance zwischen Fordern und Fördern. Man darf etwa an einen Alkoholkranken nicht nur Anforderungen stellen, sondern muss ihm auch helfen, die Sucht zu überwinden.

Hilfe und Kontrolle liegen hier sehr nahe beieinander.

Das sind im modernen Sozialstaat zwei Seiten derselben Medaille.

Beim Arbeitszwang steht nun aber die Kontrolle etwas sehr im Vordergrund. Immerhin wird die Sozialhilfe automatisch um ein Viertel gekürzt, wenn ein Arbeitsangebot abgelehnt wird. Ist diese Art von Arbeitszwang nicht im Grundgesetz verboten?

Der Gesetzgeber sieht in der Kürzung der Sozialhilfe keinen Arbeitszwang, sondern eine motivationsfördernde Maßnahme.

Wenn aber das Existenzminimum verweigert wird, dann muss man das doch wohl als Zwang bezeichnen?

Die Sozialhilfe sichert ja nicht nur Unterkunft und Verpflegung, sondern auch ein „soziokulturelles Existenzminimum“, zu dem etwa Kinobesuche oder Kosmetika gehören. Eine zeitweilige Kürzung der Sozialhilfe um 25 Prozent ist daher durchaus möglich.

Und wenn – nach wiederholter Arbeitsverweigerung – mehr gekürzt wird?

Dann kommt es für mich darauf an, welche Art von Arbeit abgelehnt wurde. Wenn grundlos ein – mehr oder weniger – normales Beschäftigungsverhältnis abgelehnt wurde, ist auch eine Streichung der Sozialhilfe zulässig. Arbeiten muss schließlich jeder. Für einen verfassungswidrigen Arbeitszwang halte ich die Streichung aber, wenn es um ein Arbeitsangebot geht, bei dem nur eine Aufwandsentschädigung von 1 bis 3 Mark pro Stunde gezahlt wird. In diesem Punkt vertrete ich allerdings eine Mindermeinung.

Und wie argumentiert die „herrschende Meinung“ in der Rechtsprechung?

Bei fortgesetzter Arbeitsverweigerung kann bis zu 100 Prozent gekürzt werden. Schließlich müsse niemand verhungern. Wer Sozialhilfe wolle, könne ja eben das Arbeitsangebot annehmen, wird argumentiert.

Ist es nicht generell kontroproduktiv, wenn ein Amt die Sozialhilfe verweigert? Schließlich sinken die Leute noch mehr in ein Elend ab, aus dem sie der Staat später wieder herausholen muss.

Natürlich kann die Streichung von Sozialhilfe Menschen auch in Randnischenexistenzen zwingen. Sie schnorren, leben auf Kosten von Freunden, überziehen ihr Konto und driften in die Kleinkriminalität ab. Dies gilt aber längst nicht für alle. Auch deshalb ist es so wichtig, dass bei allem Fordern das Fördern, eine maßgeschneiderte Stärkung vorhandener Selbsthilfefähigkeiten, nicht vergessen wird.

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