JÖRG STEINS TOD UND DAS ENDE DER BESCHÄFTIGUNGSGESELLSCHAFTEN: Nie wieder Selbstherrlichkeit!
Seit den 60er-Jahren brauche ich morgens bloß die Todesanzeigen in der FAZ zu lesen – und schon habe ich gute Laune. So auch gestern, als ich zwei Todesanzeigen für Jörg Stein entdeckte. Der schwäbische Arbeitsrechtler wurde nach der Wende vom IG-Metall-Chef Steinkühler in die Treuhandanstalt (THA) geholt. Die THA wollte vor der Privatisierung ihrer Ostbetriebe so viele Arbeitsplätze wie möglich abbauen, um die Unternehmen für Käufer interessanter zu machen. Die entlassenen Belegschaften wurden in Beschäftigungsgesellschaften „zwischengeparkt“. Dieses Parkgeschäft übernahm Jörg Stein, indem er die Betriebsräte bearbeitete.
In der Treuhand hieß es schon bald: Ohne Herrn Stein läuft bei uns gar nichts! Bei den ostdeutschen Betriebsräten war der „Totquatscher“ dagegen verhasst. So meinte etwa der Betriebsratsvorsitzende des Motorradwerks Zschopau: „Der Stein, das war die schlimmste Erfahrung meines Lebens!“ Am Ende waren jedoch die meisten DDR-Betriebe von Mitarbeitern entleert – und Stein der größte Arbeitgeber Ostdeutschlands geworden: „Dafür kann ich aber nix“, sagte er mir einmal, „die ganzen Betriebe waren doch übervölkert.“ Die ostdeutsche Betriebsräte-Initiative verglich sein Vorgehen mit einem Pilotenspiel: Jede neue entlassene Belegschaft bringt ihre Sozialplan-Gelder in die steinsche Beschäftigungsgesellschaft ABS ein und dann kann diese eine Weile lang wirtschaften, bis die Belegschaft des nächsten liquidierten Betriebes – mit neuem Geld – an die ABS angekoppelt wird. Für Jörg Stein selbst blieben bei diesem Spiel Millionen hängen. Allein für die „Sozialplanbegleitung“ der liquidierten Mikrotechnologischen Gesellschaft Frankfurt (Oder) kassierte er 500.000 Mark.
In seinen ABS-Gesellschaften verblieben die Mitarbeiter rund ein Jahr, danach gingen sie in Umschulung, ABM oder in die Arbeitslosigkeit. Um sie dahin zu kriegen, bombardierte Stein die Betriebsräte mit Faxen. Dem Betriebsratsvorsitzenden des Ökokühlschrankherstellers Foron schrieb er zum Beispiel: „Ich habe Euch ein Gesamtkunstwerk geliefert [. . .] Ihr wißt nämlich nicht, um was es geht – das ist keine Wessi-Arroganz, sondern hat Sinn und Zweck – nämlich Kompetenz“. In seinen Schriftsätzen zitierte er gerne „den lieben Kollegen B. Brecht: ‚Bitter bereut, wer des Weisen Rat scheut‘“ – und behauptete von sich selbst: „dass beim lieben Gegner, nämlich der Treuhand, oder westdeutschen Konzernen, in der Regel das ‚Zittern‘ anfängt, wenn man meinen Namen hört. Ich bitte Euch aus diesem Grund, mir mit dem Respekt zu begegnen, mit dem mir auch der Klassenfeind gegenübertritt“. Respekt, für einen, der sieben Geschwister hatte und aus kleinen Verhältnissen kam, ein gestandener „68er“ gewesen sein wollte („Friedrich Engels war ebenfalls gut betucht“) und auch ein „Realist“ („Wir leben nun mal in einer Leistungsgesellschaft, wo die Einkommenshöhe Indikator für den Erfolg ist“). Im Eifer des Gefechts und des Geschäfts mit den Riesensummen, die er hin und her schob, kam er immer wieder dem Mandantenverrat nahe. Zwar bezeichnete der Treuhand-Sprecher Schöde ihn schon beizeiten als „Wanderer zwischen den Welten“, aber die THA und Stein selbst stritten ab, dass er sowohl für die Treuhand als auch für die IG Metall und die Belegschaften arbeitete. Doch: Steinkühler bezuschusste sein Büro mit monatlich 50.000 Mark, die THA via Honorarvertrag monatlich mit über 70.000 Mark.
Als alles getan war, gründete Stein im schwäbischen Millionärsstädtchen Reutlingen die Firma „mypegasus“, mit der er fortan auch die überschüssigen und überflüssigen Belegschaften aus westdeutschen Betrieben einsammelte – so die Bremer Vulkanwerft-Arbeiter, einen Teil der Philipp-Holzmann-Belegschaft und Mitarbeiter von SEL, Mannesmann, AEG. Die steinsche Beschäftigungsgesellschaft mypegasus ist fast konkurrenzlos: Zwar gäbe es noch vier oder fünf Firmen ähnlichen Typs, meint deren Geschäftsführer Schwille, sie sind aber nur regional tätig.
Diese lokalen oder nur für und von einem Betrieb gegründeten Beschäftigungsgesellschaften sind jedoch weitaus effektiver, insofern sie die Arbeitsbedürfnisse und Umschulungswünsche der Betroffenen besser berücksichtigen. Über die Todesanzeige hat Schwille ein Credo von Jörg Stein setzen lassen: „Effizienz bedeutet die Suche nach Kooperationsdividenden“. HELMUT HÖGE
Höge ist Experte für abgewickelte Betriebe und Hilfshausmeister der taz. Er schrieb das Buch „Berliner Ökonomie“.
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