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Der Wahlkampf ruht

Berliner Spitzenkandidaten wollen bis zum Sonntag Auseinandersetzung einstellen. Regierungsgeschäfte laufen weiter. Heutige Debatte im Abgeordnetenhaus fällt aus

„Individuelle Formen der Trauer“ gelte es zu finden, forderte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) die Berliner auf: „Jeder soll das tun, was ihm am Herzen liegt.“ Wie groß das Bedürfnis der Menschen in Berlin gestern tatsächlich war, ihr Entsetzen über die Terrorakte in den USA auszudrücken, konnte das Stadtoberhaupt gestern quasi im eigenen Haus erleben. Als Wowereit um 14 Uhr mit seiner Unterschrift im Roten Rathaus ausgelegte Kondolenzlisten eröffnen wollte, erwartete ihn bereits eine Schlange Berliner Bürger, die ebenfalls unterzeichnen wollten. Sie hatten am vorbereiteten Tisch vor US-amerikanischer und deutscher Flagge zu diesem Zeitpunkt beinahe zwei Stunden gewartet.

Heute wird Wowereit im Abgeordnetenhaus mit einer „Erklärung des Regierenden Bürgermeisters“ erneute seine Bestürzung ausdrücken. Er wird an die besondere Geschichte erinnern, die Berlin mit seiner ehemaligen Schutzmacht USA verbindet. Wowereit wird außerdem deutlich machen, dass Gedenken nicht die Sache einzelner Parteien sein könne. Dies ist auch vor dem Hintergrund zu verstehen, dass auf eine gewöhnliche Regierungserklärung normalerweise eine Debatte im Abgeordnetenhaus folgt. Anders morgen: Nach dem Regierenden Bürgermeister wird im Parlament niemand sprechen. Darauf einigte sich gestern der Ältestenrat. Bei einer Debatte hätten sich die Fraktionschefs der im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien zu Wort gemeldet. Einige Fraktionschefs sind gleichzeitig Spitzenkandaten ihrer Parteien für die am 21. Oktober vorgesehenen Wahlen. Außer Wowereit wird heute also nur Parlamentspräsident Reinhard Führer (CDU) für das Abgeordnetenhaus sprechen. Auch außerhalb des Parlaments soll der Wahlkampf ruhen. Die Parteien verständigten sich darauf, bis zum Sonntag keine einschlägigen Termine wahrzunehmen. Zahlreiche Feste, Pressekonferenzen und Veranstaltungen wurden abgesagt.

Die CDU interpretiert Wahlkampfabstinenz so: Die Großflächenplakate der Partei sollen mit einem Aufkleber versehen werden, auf dem zu lesen ist: „Wir trauen mit unseren Freunden um die Opfer der Terrorismus“. Der Spitzenkandidat der Union, Frank Steffel, bat die Berliner zum Gedenken an die Opfer der Terroranschläge abends Kerzen in ihre Fenster zu stellen.

Der Senat und alle maßgeblichen Oppositionspolitiker wollen morgen um 17 Uhr an der Trauerkundgebung am Brandenburger Tor teilnehmen.

ROBIN ALEXANDER

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