: Fassungslos bis zur Vergeltung
Das Internet ist zum Forum für Ängste, Racheforderungen und Aufrufe zur Vernunft geworden. Dokumentation von Beiträgen im Diskussionsforum wer-weiss-was.de
Indy: Ich bin kein sonderlich sensibler Mensch, trotzdem standen mir die Tränen in den Augen. Als ich dann noch die abgefuckten Palästinenser gesehen habe, die den Anschlag feierten, wäre ich fast durch den Fernseher gestiegen, um sie alle persönlich umzubringen. Ich hoffe von ganzem Herzen, dass Bush den Sauhaufen bis zum letzten Mann vernichtet. Ich würde mich freiwillig melden und die Bomben persönlich abliefern.
HeartCore: Man darf jetzt nicht die Kontrolle verlieren und sich von seiner Wut leiten lassen. Das wäre sicherlich das Falscheste überhaupt. Für die sind wir die Bösen, und für uns sind sie es. Ich finde es auch ziemlich krank, auf solch eine Nachricht so euphorisch zu reagieren. Aber sicherlich denken nicht alle gleich.
Tanja: Die Frauen und Kinder, die die Anschläge feiern, sind sicher in der Minderheit. Wenn du siehst, wie die Kinder da erzogen werden, dann verstehst du, dass sie jubeln. Die verstehen noch gar nicht, was da vor sich geht. Ich habe mal gesehen, wie in Kindertrickfilmen Propaganda-Werbefilme eingeblendet werden . . . So kriegen die bereits ihre Hirnwäsche.
Fralli: Da werden jeden Tag weltweit zigtausende von Menschen dahingemeuchelt, viele auch dank der „Friedenspolitik“ der USA, und diese ganzen Schicksale sind höchstens mal Randnotizen in den Spätnachrichten. Wie viele Palästinenser haben seit dem neuerlichen Beginn der Intifada ihr Leben lassen müssen? Ich glaube, da kommt man schon fast auf die Zahl der Opfer vom heutigen Tag. Meines Erachtens nach trägt die USA an jedem dieser Schicksale mit ihrer unerträglichen proisraelischen Politik massiv Mitschuld.
Barbara: Wir wollen doch mal hier nicht die Opfer zu Tätern machen. Alles, was hier eine Menge amerikafeindlicher Poster gesagt haben, rechtfertigt nicht den feigen Mord an diesen ganzen Menschen. Sind sie für euch schuldig, nur weil sie Amerikaner waren? Was geht eigentlich in Köpfen von diesen Jublern und Zynikern vor? Persönlich habe ich wenig Probleme damit, wenn die Amerikaner hier entsprechend reagieren.
Thomas Miller: Soll das einen militärischen Racheakt rechtfertigen? Das hätte ich nicht von dir gedacht.
Barbara: Es geht wohl eher um ein „Unschädlich-machen“ von Feinden der Menschheit. Das funktioniert besser, wenn man sie vor ein ordentliches Gericht stellt. Ich denke nur, einen Bin Laden wirst du nicht einfach verhaften und vor ein Gericht bekommen. Wenn’s klappt, sogar besser. Es wäre für seine Entmystifizierung besser. Überhaupt gönne ich keinem einzigen dieser „Gotteskrieger“ – was ein Frevel an Gott, sich so zu bezeichnen! – ihren so heiß erwünschten Märtyrertod! Eigentlich sollten sie bis zu ihrem natürlichen Ende in irgendeiner Zelle verrotten, vergessen von ihren Enkeln, die bis dahin längst in Frieden mit sich und der Welt leben.
Bodo: Damit die Enkel der so genannten Gotteskrieger in Frieden leben können, muss sich aber erst einiges an ihrem Lebensumfeld ändern. Das bedeutet sicher nicht, dass man mit aller zur Verfügung stehenden Macht Gewalt auf sie ausübt, sondern, dass die Probleme welche es ja unbestritten gibt, gerecht löst. Ein erbombter Frieden wird keinen Bestand haben.
Carlos Wurster: Manchmal schon, siehe Deutschland.
Peter: Ich finde es höchst erstaunlich, welche Mutmaßungen hier geäußert werden. Niemand von euch weiß doch etwas Genaues!
Feuerstein: Es tut mir sehr Leid, dass wir alle einen derart schlechten Eindruck auf dich machen. Nichtsdestotrotz werden wir höchstwahrscheinlich damit fortfahren, zu spekulieren, zu analysieren und vor allem nachzudenken, weil das zur Zeit sehr wichtig ist, um das Geschehene zu verarbeiten und sich auf das Zukünftige vorzubereiten. Du hast Recht damit, wenn du sagst, dass das einzige, was wir wissen, ist, dass wir nichts wissen. Das ist wohl auch der Grund, warum wir noch fassungslos sind. Eigentlich ist das auch ganz gut so, denn solange Fassungslosigkeit herrscht, herrscht nicht der Wunsch nach Vergeltung.
Feanor: Nach dem Schock gestern sind für mich nicht jubelnde Palästinenser und Nigerianer das Schlimmste, sondern der Grundtenor vieler kleiner Diskussionsgrüppchen, den ich heute am Bahnhof, in der S-Bahn und auch bei mir im Betrieb mitbekommen habe: dass man am Besten alle Muslime in Deutschland überwachen oder gleich ganz rausschmeißen sollte.
Eckart: Wollen wir gemeinsam hoffen, dass dieses fürchterliche Ereignis endlich der Anlass wird, das in Ordnung zu bringen, was so lange verschlampt, verdrängt, vergessen wurde. Wenn die Anstrengungen, die bisher auf Globalisierung und Gewinnmaximierung verschwendet wurden, endlich dazu benutzt werden, dass jedem Wesen auf diesem Globus sein Recht auf ein anständiges Leben eingeräumt und gewährleistet wird.
Lehitraot: Als vorgestern in Naharia, wo ich wohne, ein Attentat war, hatte ich da schon Todesangst. Und jetzt das! Ich weiß nicht, ob es eine Verbindung gibt, und im Prinzip spielt es keine Rolle. Der Terror hat Macht bekommen. Die Supermacht USA wurde zutiefst getroffen. Nirgends sind wir noch sicher. Wir alle. Ich habe Angst vor Krieg. Mein Freund ist Israeli. Wenn es zum Krieg kommt, kann er nirgendwohin. So schlimm war es noch nie.
René: Heute sind wir wach geworden. Ich denke, wir werden alle erhebliche Änderungen unseres Alltages feststellen.
baw: Die versuche ich mir gerade vorzustellen. Was meinst du?
René: Toleranz und Integration werden ab heute neu definiert.
BerndW: Ich kann niemanden verstehen, der denen noch irgendwelche Rechte einräumt inklusive dem Recht zu leben!
René: Jeder wird akzeptieren können, dass man den/die Schuldige killt. Aber ist das die Vorstellung unserer zivilisierten Welt? Wir halten uns für so gut, dass wir auch töten dürfen?! Was ist mit den hunderttausend Toten weltweit, die verhungern, damit wir hier in unserem Wohlstand leben? Was ist, wenn diese Schwachen einen starken Beschützer finden, der sagt: Der Westen muss büßen, sie gehören alle an den Galgen? Wo ist der Unterschied? Wer hat Recht? Ich sag’s dir: Der Stärkere, aber nicht der mit der „höheren“ Moral!
BEARBEITUNG: DIETMAR BARTZ
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