: Fast ein Freibrief für die Nato
Die Grundlagen für ein mögliches Eingreifen der Allianz. Resolution des UN-Sicherheitsrats sagt: „Terrorakte mit allen verfügbaren Mitteln bekämpfen“
von ANDREAS ZUMACH
„Krieg gegen die USA“ – unter dieser Schlagzeile steht seit Dienstagnachmittag zumindest in der westlichen Welt fast die gesamte Medienberichterstattung über die Terroranschläge von New York und Washington. Der Begriff „Krieg“ schürt die Angst vor einer militärischen Eskalation, von der möglicherweise auch Europa betroffen sein könnte.
Verstärkt wird diese Sorge durch den Beschluss des Nato-Rates vom Mittwochabend, der die Terroranschläge als Angriff auf das gesamte Bündnis definiert und – erstmals in der Geschichte der Allianz – den „Bündnisfall“ nach Artikel fünf des Nato-Vertrages feststellt – falls nachgewiesen wird, dass dieser Angriff „von außen“ und durch einen staatlichen Akteur erfolgte.
Dehnbare Regeln
Doch unter welchen Voraussetzungen und in welchen Weltregionen können die USA und ihre 18 europäischen Nato-Partner laut eigenem Mandat sowie nach den Regeln des Völkerrechts überhaupt militärisch handeln? Und welche Rolle käme der den Vereinten Nationen zu?
Die Antworten auf diese Fragen ist keineswegs so klar, wie der einstimmig gefasste Beschluss des Nato-Rats viele glauben macht. Und die Praxis der letzten zehn Jahre lässt erwarten, dass auch diesmal wieder eigene Regeln wie (völker-)rechtliche Bestimmungen nach politischen Interessen interpretiert und gedehnt werden.
In Artikel fünf des Nato-Vertrages vereinbarten die zwölf Gründungsmitglieder der Allianz im April 1949 „dass ein bewaffneter Angriff gegen einen oder mehrere von ihnen in Europa und in Nordamerika als ein Angriff gegen alle angesehen wird“. Im „Falle eines solchen bewaffneten Angriffs“ werde „ jedes Nato-Mitglied in Ausübung des in Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen anerkannten Rechts der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leisten“. Jeder Nato-Staat „soll unverzüglich Maßnahmen treffen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, die er für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wieder herzustellen und zu erhalten“.
Auch ohne UN-Mandat
Mit dieser Formulierung wurde das Vertragsgebiet der Nato – das Territorium der inzwischen 19 Mitgliedstaaten und der dazwischenliegende Teil des Atlantiks - als Operationsgebiet der Nato definiert. Anders als die aktuelle Diskussion und der Beschluss des Nato-Rates vom Mittwoch suggerieren, gibt es in Artikel 5 des Nato-Vertrages allerdings keine Festlegung, dass zur Voraussetzung für die Feststellung des Bündnisfalles der „bewaffnete Angriff“ von außen und durch einen beziehungsweise mehrere staatliche Akteure erfolgen müsse.
Allerdings war die bei Gründung der Nato und bis Ende des Kalten Krieges gültige Bedrohungsannahme ein Angriff von außen durch die Sowjetunion und ihre Verbündeten im Warschauer Pakt.
Der Beschluss des Nato-Rates ist insofern widersprüchlich, als er einen Angriff entsprechend Artikel fünf des Vertrages feststellt, zugleich jedoch auf das erweiterte Mandat erweist, das sich die Nato auf ihrem Washingtoner Gipfeltreffen vom April 1999 gegeben hatte.
In einem damals beschlossenen Strategiedokument heißt es „die Sicherheit der Allianz“ müsse „den globalen Zusammenhang berücksichtigen“. Die Sicherheitsinteressen der Allianz könnten auch „durch Risiken anderen Natur berührt werden, dazu gehören Akte von Terrorismus“. Die Nato erweiterte in dem Strategiedokument von 1999 ihren Operationsraum auf eine – bis heute nicht näher definierte – „euroatlantische Region“ und sprach sich die Verantwortung und das Recht zu, in dieser Region zwecks Sicherung von „Frieden und Stabilität“ politisch und militärisch zu intervenieren.
Diese Aufgaben wurden seinerzeit von der Nato ausdrücklich als zusätzliche beschrieben, die unabhängig von einem Angriff auf einen der Bündnispartner wahrgenommen werden sollen.
In dem Strategiedokument von 1999 heißt es, Interventionen in der „euroatlantischen Region“ sollten zwar „auf Basis der UNO-Charta“ erfolgen, aber notfalls eben auch ohne ein formales Mandat des UNO-Sicherheitsrats. Dieses war bereits einmal der Fall, beim Nato-Luftkrieg gegen Jugoslawien im Jahre 1999, und brachte der Nato weltweit den Vorwurf des Völkerrechtsbruchs ein.
Auch für andauernden Bombardierungen Iraks durch die beiden Nato-Staaten USA und Großbritannien gibt es – anders als für den eigentlichen Golfkrieg gegen Irak vom Frühjahr 1991 – keine Mandatierung durch de UNO-Sicherheitsrat.
Dasselbe gilt für die Luftangriffe der USA gegen eine vermeintliche Chemiefabrik im Sudan sowie mutmaßliche Lager von Bin Laden in Afghanistatn nach den Anschlägen auf die USBotschaften in Kenia und Tansania vom August 1998.
Mit der Berufung auf Artikel fünf des Nato-Vertrages und damit indirekt auf das Selbstbestimmungsrecht nach Artikel 51 der UNO-Charta hat die Allianz versucht, erneuter Kritik wegen einer Verletzung des Völkerrechts vorzubeugen. Allerdings ist unter Völkerrechtsexperten zumindest umstritten, wie weit das Selbstverteidigungsrecht reicht.
Politische Unterstützung
Laut UNO-Charta muss die Bedrohung „anhalten“ und der Staat, gegen den sich militärische Maßnahmen richten, nachweislich weigern,die Bedrohung zu unterbinden.
War Bin Laden der Drahtzieher der Anschläge? Hält er sich tatsächlich in Afghanistan auf? Und lässt ihm das Taliban-Regime tatsächlich freie Hand und verweigert seine Verhaftung bzw seine Auslieferung?
All dieses müsste die Nato vor den jetzt erwogenen Militärmaßnahmen gegen afghanisches Territorium nachweisen, um den Anforderungen des Völkerrechts zu genügen. Aber selbst wenn die Nato – oder auch die USA allein – auch ohne diese Nachweise militärisch zuschlagen sollten, wird es diesmal möglicherweise wenig Kritik geben. Darauf deuten zum einen die bisherigen Stellungnahme aus China und Russland hin, in denen die Anschläge scharf verurteilt werden und sogar die Möglichkeit eier Beteiligung an eventuellen militärischen Maßnahmen angedeutet wird.
Vor allem aber haben der UNO-Sicherheitsrat und die Generalversammlung in der Nacht zum Donnerstag bereits sehr weit reichende Resolutionen beschlossen. In der Resolution des Sicherheitsrats werden die Anschläge vom Dienstag nicht nur in aller Schärfe verurteilt, sondern als Bedrohung von „Frieden und Sicherheit“ eingestuft. Diese Formulierung aus Kapitel sieben der UNO-Charta ist die Voraussetzung für die Ermächtigung der UNO-Mitgliedstaaten zu militärischen Maßnahmen beziehungsweise für von der UNO geführte Kampfeinsätze gegen ein Mitgliedsland.
Der UNO-Sicherheitsrat hat der Nato oder den USA diese Ermächtigung mit seiner Resolution zwar formal noch nicht erteilt. Doch könnten Washington und Brüssel diese Signale und weitere Fomulierungen der Resolution, wie: diese Terrorakte seien „mit allen verfügbaren Mitteln zu bekämpfen“, durchaus als politischen Freibrief für militärische Maßnahmen verstehen.
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