: „Die USA halfen den Taliban ...
■ ... an die Macht – und jetzt soll das afghanische Volk dafür bestraft werden?“ Atiq Yussufi, ein afghanischer Bremer, hat Sorge um seine Familie in Kabul
„Als ich die Nachricht gehört habe, dass Flugzeuge als Waffe benutzt werden, um kaltblütig Tausende von Menschen zu ermorden, da habe ich gesacht: Wo sind wir eigentlich? Haben wir uns zu Unmenschen entwickelt?“, sagt Atiq Yussufi, einer der ca. 400 in Bremen lebenden Afghanen. Atiq Yussufi war 1982 nach Gefangeschaft und Folter durch das prosowjetische Regime aus Afghanistan geflüchtet und hat nach einigen Schwierigkeiten in Deutschland Asyl bekommen. Auf seinem CD-Regal steht Musik von Bach bis Tschaikowski, dazwischen einige afghanische und indische Scheiben. „Ich möchte wie ein zivilisierter Mensch leben und auch so behandelt werden“, sagt er.
Was er nicht liebt, ist die Redewendung: „Die Araber...“ Mit der traditionellen arabischen Kultur kann er wenig anfangen, die Taliban, die heute den Frauen die Schleier und den Männern die Bärte aufzwingen, hasst er genauso wie das prosowjetische Regime damals. „Ich liebe alles, was lebendig ist.“
Deshalb macht ihm die uneingeschränkte Solidarität Sorge, mit der in diesen Tagen den USA Unterstützung zugesagt wird – was auch immer die machen. „Ich hoffe, dass sie jetzt nicht euphorisch losmarschieren...“ Er traut es den USA zu, jetzt Afghanistan einfach platt zu machen. „Ich habe Familie in Kabul zu verlieren.“
Bisher sei überhaupt nicht bewiesen, dass Afghanistan eine besondere Rolle spielt bei der logistischen Vorbereitung der Terror-Anschläge, insistiert Atiq Yussufi. Und: „Wieviele Länder müssten denn dann auch plattgemacht werden?“ Saudi-Arabien, Pakistan, „Hamburg auch?“
Die Rolle der USA in dieser Region ist eng verknüpft mit seiner Flucht. Denn er hätte sich die Unterstützung der westlichen Welt für die schwachen demokratischen Gruppen gewünscht, in denen er aktiv war. Aber die Geldspenden aus dem Westen gingen immer an die fundamentalistischen Kämpfer: „Die Amerikaner haben die radikal islamistischen Bewegungen unterstützt.“ Deutsche Politiker haben das auch getan. Franz-Josef Strauß etwa, der Freund des Gulbudin Hekmatjar, der heute im Iran Unterschlupf gefunden hat. „Die USA haben doch nicht nur Saddam Hussein stark gemacht. Sie haben auch die Taliban an die Macht gebracht. Das waren doch die USA. Und jetzt soll das afghanische Volk dafür bestraft werden.“ Wobei für Atiq Yussufi klar ist, dass der saudischen Ossama bin Laden nicht zufällig in Afghanistan Unterschlupf gefunden hat. „Seine Frau ist die Tochter des Taliban-Chefs Mullah Omar“, sagt Atiq Yusufi, und auch der Sohn von bin Laden ist mit den Taliban verschwägert.
Atiq Yussufi arbeitet als Dolmetscher und Übersetzer in Bremen. Viel Kontakt zu den anderen afghanischen Flüchtlingen in Bremen hat er nicht – es gibt zu viele ideologische Brüche, nicht nur den zwischen den „Prosowjetischen“, die vor den Tabilan geflüchtet sind, und denen, die vor den Prosowjetischen geflüchtet sind. Atiq Yussufi ist „gegen jede Art von Gewalt. Jeder Tote ist ein Toter zuviel.“
Von einst 18 Millionen Afghanen sind noch acht Millionen im Land, Millionen sind tot, ermordet, Millionen sind geflüchtet. In Hamburg leben deutlich mehr als in Bremen. Billstedt und Umgebung heißt unter den Afghanen nach einem Stadtteil von Kabul Qala-i-Samman Khan. „Wenn ich mich in Afghanistan frei bewegen könnte, wäre ich nicht mehr hier“, sagt er. Er hätte nichts dagegen, wenn das Regime der Taliban von den USA wieder beseitigt würde. Aber dass man in dieses Land einfach hineinregieren kann, hatte die Großmacht Sowjetunion geglaubt – ein blutiger Irrtum für das Land von Michail Gorbatschow. Aber die Afghanen bluten an den Folge-Problemen heute noch.
K.W.
K.W.
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