: Bush, Rumsfeld, now
„Viele von euch werden in den Tagen, die vor uns liegen, Helden genannt werden“: Die US-Regierung schreibt gerade ein sehr finales Heldenepos
von ANSGAR WARNER
In einem von Arno Schmidts Weltuntergangsszenarien aus der Zeit des Kalten Krieges sitzen die letzten überlebenden Amerikaner auf dem Mond. Viel zu lesen haben sie dort oben nicht, denn die meisten haben im Handgepäck nur ein Buch dabei: die Taschenbuchausgabe der beliebten King-James-Bibel, einer stilprägenden englischen Bibelübersetzung aus dem 17. Jahrhundert. Die Amerikaner „sind eebm ä rellidschiß Piepl!“, wie der Erzähler resigniert feststellt. Deutsche sind übrigens nicht unter den Überlebenden. Wie bei Schmidt üblich, haben sie sich in altbewährter Bündnistreue gleich zu Beginn des Dritten Weltkrieges komplett verheizen lassen.
Neben dieser beunruhigenden historischen Konstante kann man zur Zeit hautnah erfahren, wie Traditionen aus der Zeit der Pilgrim Fathers die amerikanische Politik bestimmen, eine merkwürdige Mischung aus Bibelversen und Shakespeares Tragödien. „God bless America“, sangen die Senatoren, als sie sich nach den Terroranschlägen auf der Treppe des Capitol Hill versammelten, und Präsident Bush verkündete mit alttestamentarischem Zorn: „Diejenigen, die Krieg gegen die Vereinigten Staaten führen, haben ihren eigenen Untergang gewählt.“ Dann wurde er noch deutlicher: „Sie flüchten, sie finden Löcher, um sich zu verstecken. Aber wir werden sie ausräuchern, und wir werden sie kriegen . . .“ Und schließlich führte er ein weiteres Reizwort in die Debatte ein – „Armageddon“.
Schnell hat die Bush-Administration auf die Terroranschläge von letzten Dienstag reagiert und binnen weniger Tage einen Schlachtplan für den globalen Kampf zwischen Gut und Böse entworfen. Die Täter hätten einen „mächtigen, schlafenden Giganten“ geweckt, so Bush, der als Konsequenz einen langen „Kreuzzug gegen den Terrorismus“ ankündigte.
Folgt man den Worten, die Verteidigungsminister Donald Rumsfeld an seine Soldaten richtete, beginnt nun die Zeit der Helden: „Von euch wird viel verlangt werden in den nächsten Monaten, sehr viel. Helden sind uns vorausgegangen, viele von euch werden in den Tagen, die vor uns liegen, ebenfalls Helden genannt werden.“
Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz hat dann noch eins draufgesetzt: Beim kommenden weltweiten Kampf werde man Staaten, die den Terrorismus unterstützen, schlicht und einfach „beenden“.
Der Kampf zwischen Gut und Böse, Armageddon, Staaten beenden – es braucht nicht lange und der europäische Beobachter stellt sich die bange Frage: Welche Vorlage wird hier verfilmt? Offenbar die Rumsfeld-Wolfowitz-Apokalypse mit George W. Bush in der Hauptrolle. Wobei dieser Film kaum zu verwechseln ist mit „Armageddon“. Denn hier überlebt ein Großteil der Weltbevölkerung, während sich der Held am Ende in die Luft sprengt.
Natürlich besteht kein wirklicher Grund zur Beunruhigung. Letztendlich wird die Apokalypse auch wieder nur eine besonders schwere Form von unbeabsichtigten „Kollateralschäden“ darstellen, die bei einem „press briefing“ im Weißen Haus der geneigten Öffentlichkeit allgemeinverständlich erklärt werden können.
Auch die Medienkritiker werden auf ihre Kosten kommen. Denn selbstverständlich werden bei einer anständigen Apokalypse die Leichen nicht „bei CNN bestellt“, wie es der Dramatiker Peter Turrini einmal sehr drastisch an der zeitgenössischen Berichterstattung bemängelt hat. Vielleicht wird die authentische Rumsfeld-Wolfowitz-Version des Weltuntergangs dann irgendwann einmal als Update den kanonischen Texten der Bibel angefügt.
Als der Essayist und Romancier Wolfgang Koeppen Ende der Fünfzigerjahre New York besuchte, galt sein erster Gedanke auf dem Dach des Empire State Buildings der Frage, was wohl bei einem Hochhausbrand passieren würde. Die passende Bibelstelle aus der Johannes-Apokalypse hatte er auch gleich parat: In seinem Hotelzimmer lag natürlich die obligatorische King-James-Bibel auf dem Nachttisch.
Noch besser hat es wohl nur Bob Dylan gewusst: „Nothing really matters, it’s doom alone that counts.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen