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Steinernes Lifting

Hubertus Siegberts „Berlin Babylon“ dokumentiert den topografischen Wandel der Hauptstadt mit Bildern der Bruchstellen und Gesten der Macher

von HARALD FRICKE

Im Zeitraffer erschafft sich die Stadt fast wie von selbst, und man schaut ihr staunend dabei zu. Sie lässt Betonmischer über die Baustelle rasen, stapelt Stockwerke aufeinander und brennt schließlich Feuerwerksraketen zur Eröffnung der neuen Gebäude am Potsdamer Platz ab. Ab und zu dirigieren Poliere per Walkietalkie die neuen Ladungen mit Stahlgittern oder sie passen die verklinkerten Fassaden den Rohbauten an. Alles hat System bei der Umsetzung des Masterplans von Berlin. Erst später hört man im Film die Sätze von Walter Benjamin über den Engel der Geschichte, der in all dem Treiben eine einzige Katasrophe sieht, „die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert“.

Bei Benjamin ist es der Fortschritt, der den Engel auf Paul Klees Radierung „Angelus Novus“ daran hindert, Ordnung in die Zerstörung zu bringen und damit Geschichte zu schreiben. Tatenlos starrt er darauf, wie sich die Welt verbiegt. Zugleich sieht man noch etwas anderes im Gesichtsausdruck dieses Engels: Angsterfüllt sind in Klees Original zwar die Augen weit aufgerissen, aber sein Mund scheint dabei zu lachen, als würde er wie unter Schock stehen angesichts der Ereignisse, die sich da vor ihm formieren.

Der Filmemacher Hubertus Siegbert hat diesen Blick angenommen, als er „Berlin Babylon“ gedreht hat. Seine zwischen 1996 und 2000 entstandene Dokumentation des Umbaus nach dem Hauptstadtbeschluss kreist nervös über den Schauplätzen der neuen Mitte und fokussiert sich dann erst in langen Einstellungen auf die Gespräche zwischen den Machern. Anstelle von Interviews mit Talking Heads aus dem Baugeschäft sieht die Kamera den Figuren still und ohne Kommentar bei der Arbeit zu, achtet aber umso mehr auf deren Gestik. Hans Kollhoff verfügt feldherrenhaft darüber, mit welchem Terrazzo bei DaimlerChrysler die Chefetage ausgelegt wird; und schon zu Beginn blökt Axel Schultes in Großaufnahme auf sein Handy ein, weil er sich über die Ängstlichkeit der Bundesregierung ärgert. Für ihn sind vier Millionen Mark Mehrkosten beim Bau des Kanzleramtes lächerlich, wenn er bedenkt, um wie viel Geld die Architekten in der Antike ihr Budget überzogen haben dürften. Noch ist die während der Aufnahmen brachliegende Mitte ein Niemandsland, in dem die Bauherren regieren: Auch die Zukunft des Turms von Babylon „lag in den Händen von Fachmännern“, wie es im Vorspann heißt.

Dass sich die Geschichte nicht einfach nur für denjenigen als Farce wiederholt, der seinen Marx, Benjamin oder gar die Bibel gelesen hat, weiß auch Siegbert – immerhin ist er selbst Geschichtswissenschaftler von Haus aus. Stattdessen sucht sein Film zwischen den neuen Symbolen aus Retro-Pracht und Techno-Klassizismus danach, wie sich der Modernitätsschub in den Neunzigerjahren der Topografie eingeschrieben hat, wie im Nachhinein alles einen Plan bekommt, was ursprünglich noch chaotischer Aufbruch war.

Und Bruchstelle. Denn mit der Wiedervereinigungsstadtplanung musste vor allem im Osten der Entwurf einer bereits existierenden Hauptstadt verschwinden. So wurde an der Friedrichstraße eine schon weitgehend fertig gestellte Honecker-Shoppingmall abgerissen werden, damit Jean Nouvel dort für Galleries Lafayettes ein Hochhaus aus Glas und Stahl bauen konnte. Einmal unterhalten sich der Senatsbaudirektor Hans Stimmann und Thomas Flierl als Bezirks-Baustadtrat von Mitte über das Dilemma: Für Stimmann müssen die Hochhäuser am Alexanderplatz weg, weil sie nicht mehr ins Konzept einer vorwärts gewandten Metropole passen; Flierl hält geschichtsbewusst 40 Jahre sozialistischen Wohnungsbaus dagegen. Dabei steht der Gewinner in diesem Streit längst fest, auch wenn die Berliner Republik noch ganz andere Leichen im Keller hat: Vom Stadtschloss, das Joseph Paul Kleihues so gerne wieder aufgebaut wüsste, bis zur Zukunft der Akademie der Künste (Ost), in deren heruntergekommenen Räumen der Hamburger Architekt Meinhard von Gerkan Spuren der Büros von Albert Speer sucht.

Der Rest ergibt sich dank der genauen Beobachtungen von Siegbert und seinen Kameramännern Ralf K. Dobrick und Thomas Pehnert fast nebenbei. Tatsächlich reihen sich die Szenen in „Berlin Babylon“ wie bei einer Real-Life-Soap aneinander und sind doch zugleich vielstimmiges Porträt: Architekten, Developer und Investoren sprechen von der Tabula rasa nach dem Mauerfall und über ihre Aufgabe, eine Metropole auf dem Schutt der Vergangenheit zu errichten. Manchmal klingt es, als wären Cowboys dabei, den Westen zu besiedeln. Helmut Jahn trägt zumindest das entsprechende Outfit, wenn er mit seinem Hauptbüro in Chicago verhandelt. „Man muss sich beeilen, die Stadt noch ungeschminkt zu erleben, bevor sie ganz geliftet ist – und zugebaut“, hat Siegbert über seinen Film geschrieben. Das ist ihm nicht gelungen. Berlin war schneller.

„Berlin Babylon“; Regie: Hubertus Siegbert. Mit: Axel Schultes, Renzo Piano, Hans Kollhoff, Hans Stimmann u. a., Deutschland 2000, 88 Min.

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