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TSCHETSCHENIEN: SCHRÖDER VERRINGERT DEN DRUCK AUF PUTINTerrorismus ist nicht relativ

Eine „differenziertere Bewertung“ des russischen Feldzugs im Kaukasus hat Bundeskanzler Gerhard Schröder dem Kremlchef Wladimir Putin in Berlin in Aussicht gestellt. Die täte in der Tat Not – aber nicht als Beschwichtigung, wie Schröder dies gemeint hat.

Seit Jahren wütet Russlands Streitmacht in Tschetschenien. Statt Frieden und Ordnung zu schaffen, tut sie ihr Möglichstes, um eine ohnehin instabile Region noch zusätzlich zu destabilisieren. Die internationale Gemeinschaft hob pflichtgemäß einige Male ob der Widerwärtigkeiten den moralischen Zeigefinger – und bei dieser Indifferenz blieb es. Führt die Notwendigkeit einer Anti-Terror-Allianz womöglich nun dazu, dass wir Mord nicht mehr als Kapitalverbrechen betrachten, sondern differenzierter, je nach Motiv und Blickwinkel? Nach russischer Logik bedeutet dies freie Hand in Tschetschenien. Das aber wäre die Logik politisch motivierten Mordes – sprich Staatsterrorismus. Und der ist ebenso grundsätzlich verbrecherisch wie die Menschenrechtsverletzungen tschetschenischer Rebellen.

Strafmindernde Differenzierungen sollten auch weiterhin Sache eines Gerichts bleiben. Nur gibt es im Fall Tschetschenien keinen höheren Richter als den Kreml. Doch das muss nicht so bleiben. Daher sollten die westlichen Politiker Wladimir Putins Werben um Deutschland ernst nehmen und Moskau einen Platz in Europa einräumen. Beide Seiten wissen, dass Russland sonst in die Selbstisolation geriete. Und genau hier liegt der Ansatzpunkt für eine an Menschenrechtsfragen orientierte Tschetschenienpolitik des Westens, die Putin nicht einfach belästigt abschütteln kann.

Im Umgang mit Russland müssten die Anforderungen europäischer Wertmaßstäbe anfangs wohl ein wenig heruntergeschraubt werden. Wie die Äußerung des Kanzlers in Berlin zeigte, ist er schon jetzt zur Nachsicht bereit – allerdings unter Preisgabe aller Normen. Das aber geht entschieden zu weit: Tschetschenien, so sieht es jetzt aus, landet auf der Opferbank der Anti-Terror-Allianz. Die Bereitschaft zukunftsloser junger Männer aus Tschetschenien und anderen Gegenden des nördlichen Kaukasus, sich den Terroreinheiten anzuschließen, wird eher noch wachsen. Es ist die russische Politik, die den Nährboden des Radikalismus täglich anreichert.

Unter welchen Bedingungen auch immer sich Putin eine Mitgliedschaft in der Nato vorstellen mag – jede engere Einbindung, jedes Verhandlungsthema verringert die Chance russischer Alleingänge und rettet am Ende einigen Tschetschenen noch das Leben. Das muss man allerdings wollen. KLAUS-HELGE DONATH

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