: Militäroperationen sind keine Hilfe für die Hilfe
In Afghanistan tätige Hilfsorganisationen beurteilen die US-Angriffe kritisch. Sie wollen mehr Sicherheit für ihre Arbeit und kritisieren die UNO
BERLIN taz ■ Die US-britischen Militäraktionen gegen Afghanistan erschweren die humanitäre Hilfe für die afghanische Bevölkerung. Das ist das einhellige Fazit verschiedener in der Region tätiger Hilfsorganisationen. „Selbstverständlich nicht hilfreich“ seien die Luftangriffe, sagt Denis McClean, Sprecher der Internationalen Föderation von Rotkreuz- und Roter-Halbmond-Gesellschaften (IFRC). Andere äußern sich drastischer.
Als größtes Problem bezeichnen die Hilfswerke die Ungewissheit über die Sicherheit ihrer lokalen Mitarbeiter, die seit dem Abzug des gesamten ausländischen Hilfspersonals aus Afghanistan nach dem 11. September sämtliche internationalen Hilfsaktivitäten in dem Land weiterführen. „Wir fragen jeden Morgen, ob sie heil durch die Nacht gekommen sind“, berichtet Uli Post, Sprecher der Deutschen Welthungerhilfe (DWHH), die an fünf Orten in Afghanistan mit 250 lokalen Mitarbeitern aktiv ist. „Es wird nur sehr eingeschränkt weitergearbeitet.“
Zusammengebrochen sind die humanitären Aktivitäten jedoch nicht. Denn viele von ihnen sind nicht von ständigen Lieferungen aus dem Ausland abhängig. Die Gesundheitsstationen des afghanischen Roten Kreuzes arbeiten weiter, und lokale Mitarbeiter der britischen Oxfam wollen in Afghanistan 5.000 Tonnen Lebensmittel zur Verteilung an Bedürftige kaufen.
Das UN-Welternährungsprogramm WFP hat außerdem die am Montag verkündete Suspendierung seiner Lebensmitteltransporte nach Afghanistan, deren Inhalt vor Ort von anderen Gruppen verteilt wird, aufgehoben. „Jetzt haben sie wieder angefangen“, sagt WFP-Sprecher Francis Mwanza und spielt die Suspendierung vom Montag herunter: „Wir arbeiten mit lokalen kommerziellen Transportfirmen. Am Montag gingen sie halt nicht rein.“ Konvois aus Iran und Turkmenistan seien seit Dienstag nach Afghanistan unterwegs.
Jetzt geht es nach übereinstimmender Einschätzung aller Gruppen darum, die wenigen Wochen vor Winteranfang Mitte November zu nutzen, um so viele Hilfsgüter wie möglich nach Afghanistan zu schaffen. Derzeit treffen mehr Lieferungen ein als noch vor ein paar Wochen – aber sie stapeln sich in den Nachbarländern Afghanistans, und nicht alles wird bis Wintereinbruch ins Land geschafft werden können.
Das WFP erwägt daher Luftabwürfe – aber nicht nach dem US-Vorbild des Blindabwurfs, sondern „nur, wenn am Boden unsere Mitarbeiter zugegen sind, um die Güter entgegenzunehmen und das Umfeld zu sichern“, so Mwanza. Aber da nach Berechnungen vom Oxfam für die vom WFP als monatliche Liefermenge geplanten 55.000 Tonnen Lebensmittel 60 Flugzeuge täglich starten müssten und eine solche Operation Dutzende von Millionen Mark kosten würde, bliebe der Luftweg der Ausnahmefall. Die DWHH plädiert dafür, in Afghanistan „humanitäre Korridore“ oder „humanitäre Brückenköpfe“ einzurichten, wo die Kriegsparteien die Hilfsorganisationen in Ruhe arbeiten lassen – etwa so, wie bereits im umkämpften Südsudan von den Stützpunkten im Nachbarland Kenia aus gearbeitet wird.
Zum Beispiel müssten die USA, die Taliban und die Nordallianz gemeinsam garantieren, zu bestimmten Zeiten die Nutzung von Flughäfen für Hilfslieferungen zuzulassen, findet DWHH-Sprecher Post. Dafür solle die UNO „ihr Gewicht in die Waagschale werfen“, fordert er und kritisiert: „Die UNO konzentriert sich zu sehr auf Flüchtlinge. Es gibt aber kaum Flüchtlinge.“
Die genaue Zahl derjenigen, die in Afghanistan auf der Flucht sind oder die Grenzen möglicherweise bereits überschritten haben, ist nicht bekannt. Ausländischen Hilsorganisationen ist der Zugang zu den pakistanischen Grenzgebieten versagt, in denen Pakistans Regierung die Flüchtlingslager errichten will, während die UNO sicherere Orte im Landesinneren bevorzugt. Die Arbeit an den geplanten Lagerstellen ist nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR seit Montag eingestellt, „wegen gewalttätiger Demonstrationen“. Bis gestern hatte das UNHCR Zeltplanen für 80.000 Flüchtlinge in die Grenzgebiete gebracht. Erwartet werden eine Million Menschen.
DOMINIC JOHNSON
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