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Pulver? Alarm!

In New York haben sich zwei Angestellte eines TV-Senders infiziert

aus New York NICOLA LIEBERT

Eine Erkältung hat in den USA eine ganz neue Bedeutung bekommen, seit man überall hört, dass Milzbrand mit schnupfenartigen Symptomen beginnt. In New York strömten schniefende Patienten in die Krankenhäuser, nachdem bekannt wurde, dass auch hier per Post Milzbranderreger an ein Medienunternehmen geschickt worden waren. „New Yorker sind nervös über Terrorismus, und das mit gutem Grund“, sagte ein Krankenhaussprecher. „Es besteht jedoch kein Anlass für Panik“, fügte er hinzu.

Bei dem Fernsehsender NBC, das steht inzwischen fest, enthielt ein Brief an den Sprecher der Abendnachrichten die gefürchteten Milzbranderreger. Zwei Mitarbeiterinnen sind infiziert, eine soll bereits Symptome gezeigt haben. Die Erreger waren in einer braunen, sandartigen Substanz enthalten, die aus einem bereits am 19. September abgeschickten Brief aus New Jersey rieselte. Der Brief habe an die USA und Israel gerichtete Drohungen enthalten, so die Polizei.

Das NBC-Büro im New Yorker Rockefeller Center wurde evakuiert. Über 400 Mitarbeiter wurden bereits untersucht, doch liegt das Ergebnis der Tests noch nicht vor. Zugleich jedoch schienen viele die Ermahnungen von Bürgermeister Rudolph Giuliani zu beherzigen, der die New Yorker aufforderte, „sich zu beruhigen und Vertrauen zu haben“. Auf der Rollschuhbahn vor dem Rockefeller Center drehten Skater ihre Runden wie immer, und am Samstagabend waren Kinos und Bars annähernd wieder so voll wie vor den Anschlägen vom 11. September.

Doch die Nerven sind im ganzen Land angespannt. In Nevada erhielt eine Microsoft-Niederlassung einen Brief aus Malaysia mit Pornobildern, von denen eines mit Milzbranderregern imprägniert war. In dem Zeitungsbüro in Boca Raton, Florida, wo die ersten Fälle von Milzbrand auftraten, waren die Tests bei fünf weiteren Mitarbeitern positiv. Damit sind dort insgesamt acht Menschen infiziert worden, wovon einer starb.

In Südflorida haben unzählige Menschen ihre Hausärzte überredet, ihnen ein Rezept für das das Antibiotikum Cipro auszustellen. Bei einige Apotheken war es ausverkauft und sie mussten das Mittel, das gegen Milzbrandinfektionen eingesetzt wird, nachbestellen. Die Herstellerfirma Bayer hat bekannt gegeben, wegen der starken Nachfrage in den USA die Produktion um 25 Prozent zu erhöhen.

Auch Gasmasken werden vermehrt nachgefragt. Viele Amerikaner überlegen sich die ein oder andere Sicherheitsvorkehrung, seit das FBI am Donnerstag warnte, dass es „innerhalb der nächsten paar Tage“ weitere terroristische Angriffe auf die USA geben werde. Manche kaufen größere Vorräte an abgefülltem Trinkwasser, andere vermeiden U-Bahn-Fahrten, wieder andere haben sich ein kleines Täschchen mit den notwendigsten Dingen gepackt für den Fall einer Evakuierung. Doch die meisten Amerikaner üben sich in Fatalismus. „Nirgendwo ist es sicher“, sagt eine Angestellte, die ebenfalls im Rockefeller Center arbeitet. „Soll ich etwa mein Leben von Terroristen regieren lassen?“, fragt ein Bankmitarbeiter, der ständig per Flugzeug herumreist.

Jedes Pulver löst inzwischen einen Alarmzustand aus. Büros der New York Times wurden evakuiert, als eine Reporterin, die über Biowaffen berichtete, einen Drohbrief aus Florida mit einem weißem Pulver geöffnet hatte. Das Büro der Los Angeles Times wurde stundenlang abgesperrt, und auch der Fernsehsender CBS meldete einen Umschlag mit einer puderigen Substanz.

Pulver in Supermärkten, Postämtern und mehreren Büros führte zu stundenlangen Absperrungen und Untersuchungen. Auch einige Flugzeuge wurden deswegen zu Zwischenlandungen gezwungen, Passagiere wurden an Bord festgehalten. „Die eigentliche Gefahr ist jetzt eher, dass durch dumme Streiche und Fehlalarme das Gesundheitssystem überlastet wird“, warnt der Leiter des Seuchenpräventionszentrums in Minnesota.

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