: Die überwachte Gesellschaft
Innere Sicherheit: Schwarz-Schill glaubt, durch Repression gesellschaftliche Probleme lösen zu können ■ Von Elke Spanner
Da Ronald Schill seine Träume nicht in allen Punkten umsetzen konnte, werden die Pläne des neuen Senates zur „Inneren Sicherheit“ öffentlich eher als moderat wahrgenommen. In einer Boulevardzeitung wurde Schill gestern sogar die Frage gestellt, wie er die Vereinbarungen seinen WählerInnen verkaufen will. Schließlich, so der Einwand, werde sich die Anzahl uniformierter Polizisten auf der Straße in den kommenden Wochen nicht deutlich erhöhen.
Doch auch wenn man gelegentlich noch unkontrolliert über die Straße schlendern kann und Jugendliche nicht schon mit 12 Jahren ins Gefängnis kommen, sieht der Koalitionsvertrag gravierende Maßnahmen vor, die die Freiheitsrechte der Bevölkerung erheblich beschränken. Diese müssen den Maßstab der Beurteilung bilden und nicht die Forderungen Schills, die ohnehin indiskutabel waren. Dass er im Wahlkampf überzogene Ziele formulierte, hat es CDU und FDP im Nachhinein sogar ermöglicht, diese Koalition zu legitimieren.
Mit seinem Ein-Punkt-Programm hat Schill die WählerInnen mobilisiert, die CDU und FDP brauchten, um endlich regieren zu können. Und dass er bereit war, seine Forderungen in einzelnen Punkten abzuschwächen, gab CDU und FDP die Möglichkeit, den anvisierten Koalitionspartner als kompromissbereit und damit als professionellen Politiker anzupreisen.
Und dennoch haben sich Schills Ideen durchgesetzt. Wenn statt der geforderten 2000 zunächst nur ein paar Hundert neue PolizistInnen neu eingestellt werden, ist das ein quantitativer, kein qualitativer Unterschied. Das Ziel, die Präsenz uniformierter Sicherheitskräfte auf der Straße zu erhöhen, tragen CDU und FDP voll mit. Deshalb wird die Koalition neue PolizistInnen anwerben und nichtqualifizierte Sicherheitsleute in Crash-Kursen zu Hilfssheriffs machen, um sie dann bewaffnet auf die Straße zu schicken.
Der Plan sieht vor, frühpensionierte BeamtInnen in den Dienst zurückzulocken und für 50 Millionen Mark im Jahr ausgebildete PolizistInnen aus anderen Bundesländern anzuwerben. An der hiesigen Landespolizeischule werden die Ausbildungskräfte aufgestockt. Die uniformierte Präsenz auf den Straßen wird durch zusätzliche Fuß-, Fahrrad- und Motorradsteifen verstärkt.
Der Koalitionsvertrag hebt hervor, dass vor allem in „vorwiegend von Zuwanderern bewohnten Gebieten“ mehr Polizei auf der Straße patrouillieren soll. Deshalb sollen vermehrt ausländische BewerberInnen für den Polizeidienst angeworben werden. Junge Leute sollen zur Ausbildung motiviert werden, indem das Ansehen der Polizei verbessert wird.
Die Polizeikommission hingegen wird aufgelöst. Die war eingerichtet worden, nachdem der Parlamentarische Untersuchungsausschuss zum Polizeiskandal Misshandlungen vor allem von Schwarzafrikanern durch Beamte festgestellt hatte.
Ob sich diese Maßnahmen allerdings tatsächlich als Erfolg in der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) niederschlagen werden, ist fraglich. Die PKS wies für die vergangenen Jahre nämlich vor allem einen Anstieg von Wirtschaftsdelikten aus – Straftaten, die am Büroschreibtisch und nicht auf der Straße begangen werden. Voriges Jahr ist am stärksten der Anteil der Kreditkartenbetrügereien angestiegen. Und: Unter die vor allem von Schill stets angeführten Raubdelikte fällt das „Abziehen“ unter Jugendlichen – Taten, die auf dem Schulhof begangen werden und nicht die gesamte Bevölkerung, sondern MitschülerInnen bedrohen.
Außerdem wird es solange Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz geben, wie Menschen süchtig nach Drogen sind, die sie auf dem Schwarzmarkt erwerben müssen. Und die FDP-Forderung aus dem Wahlkampf, zumindest Marihuana zu legalisieren, haben Schill und CDU abgeschmettert.
Durch die Hintertür durchgesetzt hat sich auch der Schill-Vorschlag, Bettler aus der City zu vertreiben. Zwar taucht der Begiff in der Koalitionsvereinbarung nicht mehr auf. Die beschreibt aber „Sauberkeit, Sicherheit und Wirtlichkeit repräsentativer öffentlicher Flächen“ als politisches Ziel. Es soll eine Handlungsgrundlage geschaffen werden, um Menschen, die „durch ihr Verhalten die öffentliche Ordnung beeinträchtigen“, den Aufenthalt an bestimmten Standorten zu untersagen. An anderen Stellen wird der Aufenthalt nicht untersagt, aber kontrolliert: Einzelne Plätze in der City werden mit Videokameras überwacht.
Der Koalitionsvertrag ist geprägt von der Vorstellung, durch Repression gesellschaftliche Probleme lösen zu können. Das zeigt sich vor allem in der Drogenpolitik. Die wird zwar nach dem Stichwort „Gesundheit“ angesprochen und wird auch künftig von der Gesundheitsbehörde verwaltet. Sieben der zehn im Koalitionsvertrag festgelegten Maßnahmen betreffen aber nicht Hilfen für Süchtige, sondern polizeiliches Vorgehen gegen Drogendealer: Brechmittel in der ganzen Stadt beispielsweise oder der verstärkte Einsatz verdeckter Ermittler, die auch Scheinkäufe tätigen sollen.
Auch der Jugendkriminalität will die Koalition allein durch Repression beikommen: CDU und FDP haben zwar abgelehnt, das Strafmündigkeitsalter von 14 Jahre auf 12 Jahre abzusenken. Es wird aber ein geschlossenes Heim eingerichtet, in das jugendliche Straftäter eingewiesen werden. Und erlebnispädagogische Reisen, mit denen bisher das Ziel verfolgt wurde, Mädchen und Jungen Alternativen zum Leben am Hauptbahnhof zu zeigen, werden eingestellt.
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