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Berechtigtes Misstrauen

Ob die Bundeswehr im Kampf gegen den Terror taugt, konnten die Abgeordneten gestern nicht beurteilen, da ihnen wesentliche Informationen vorenthalten wurden

Die Schlagworte von der „gewachsenen Verantwortung“ und der „neuen Normalität“ zielen ins Leere

Wenn es denn eine historische Entscheidung war, die der Bundestag gestern traf, dann fiel sie nicht erst an diesem Tag. Wer A sagt, muss auch B sagen, und das A war schon viele Male lauthals verkündet worden, nicht zuletzt durch das Parlament selbst in seiner Entschließung vom 19. September, als die CDU- und die FDP-Fraktion darauf bestanden, das Kanzlerwort von der uneingeschränkten Solidarität mit den Vereinigten Staaten als ein ausdrücklich auch militärisch gemeintes Beistandsangebot zu qualifizieren. Eine Festlegung zieht die nächste nach sich, und weitere werden folgen auf einem Weg, dessen Ausgang im Dunkeln liegt. Nur dass der Bundestag dann nicht mehr gefragt werden muss.

Was war denn den Abgeordneten bekannt, als sie den Beschluss von kaum absehbarer Tragweite fassen mussten? Sie hatten ein klares Bild von Art und Zusammensetzung der Kräfte, die den Beitrag der Bundeswehr bilden werden. Ebenso kannten sie den zahlenmäßigen Umfang des deutschen Kontingents. Aber nichts wurde ihnen gesagt über den vorgesehenen Ort des Einsatzes, nichts über die Einsatzziele – darüber dürfe nicht unnötig spekuliert werden, hatte der Kanzler gemahnt. Nichts also wurde verlautbart, was ein Urteil über die genuin politische Frage der Tauglichkeit militärischer Operationen innerhalb eines strategischen Gesamtkonzepts zum Kampf gegen den Terrorismus erst ermöglicht. Worüber aber sonst, wenn nicht über das Verhältnis von Zweck und Mitteln, muss der Bundestag befinden, soll er Auslandseinsätze der Bundeswehr gutheißen? Die Sicherheit der Soldaten verlange die Geheimhaltung, so war zu hören. Das ist ein Scheinargument. Die Verlegung von Spürpanzern etwa wird sich höchstens so lange verbergen lassen, bis sie am Zielort eintreffen. Und vor einer konkreten Kommandoaktion Uhrzeit und Hausnummer zu nennen, verlangt ja niemand.

Das Parlamentsvotum vom Freitag gilt für zwölf Monate. Innerhalb dieses Zeitraums kann der Verteidigungsminister Einsätze deutscher Soldaten befehlen. Ist der Bundestag damit seiner Mitwirkungspflicht nachgekommen? Wann, wo und gegen wen militärisch vorgegangen wird, weiß er ebenso wenig wie die deutsche Öffentlichkeit. Folglich hat er gar keine Einsatzentscheidung getroffen, sondern allenfalls einen Bereitstellungsbeschluss. Das deutsche Verfassungsrecht aber verlangt etwas anderes. „Das Grundgesetz verpflichtet die Bundesregierung“, so bestimmt das einschlägige Verfassungsgerichtsurteil vom Juli 1994, „für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte die – grundsätzlich vorherige – konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen“. Für den Einsatz, nicht für die Bereitstellung! Von Vorratsbeschlüssen oder Blankovollmachten ist hier selbstverständlich keine Rede.

Der Einwand mag kleinkariert klingen. Aber er triff den Nerv dessen, was der so genannte Parlamentsvorbehalt bezweckt. Das oberste deutsche Gericht wollte verhindern, dass über die Bundeswehr in der Anonymität von Ministerialkanzleien verfügt wird wie 1991 an der Schwelle zum Golfkrieg, als das Bundeskabinett im Umlaufverfahren und ohne Beratung eine Jagdbomberstaffel in die Krisenregion entsandte. Auch dass 1999 die deutsche Beteiligung am Kosovokrieg auf einem Vorratsbeschluss beruhte, macht die Sache nicht besser. Die fünf Monate zwischen Parlamentsentscheid und Einsatzbefehl haben der demokratischen Legitimation des Waffengebrauchs zusätzlich Abbruch getan.

Ein mitsprachebefugtes Parlament, eine halsstarrige Koalition, eine argwöhnische Öffentlichkeit – all das sind lästige Fesseln für eine Regierung, die zu den Großen gehören und in kritischen Weltlagen Entschlusskraft und Handlungsstärke demonstrieren möchte. Bundeskanzler Schröder hat aus seinem Missbehagen keinen Hehl gemacht. Für ihn stellt sich als Konsequenz des 11. September die Notwendigkeit eines politischen Richtungswechsels. Die Formulierung und Durchsetzung deutscher Außenpolitik seien langfristig zu verändern. Die Risikoscheu als sicherheitspolitische Leitlinie habe ausgedient. Das Militärische müsse enttabuisiert werden. Deutschlands künftige Positionierung in der Welt hänge davon ab.

Klischees dieser Art sind nicht ganz neu in der politischen Debatte des letzten Jahrzehnts. Aber sie zählten bislang eher zum Programmfundus der Opposition. Zu den Absichten, mit denen vor drei Jahren SPD und Grüne den Wahlkampf bestritten und ihr Regierungsbündnis besiegelten, stehen sie im offenen Kontrast. Woher also der Sinneswandel? Die Schlagworte von der „neuen Normalität“ und der „gewachsenen Verantwortung“ der Bundesrepublik zielen ins Leere, solange sie nicht substanziell begründet werden.

„Normalität“ kommt von „Norm“. Das normative Fundament deutscher Außenpolitik bildet das Grundgesetz und darüber hinaus der Normenkonsens des Völkerrechts, wie er sich z. B. in der Charta der Vereinten Nationen, aber auch im Nordatlantikvertrag niederschlägt. Alle drei verbieten die militärische Gewaltanwendung, außer in eng definierten Ausnahmefällen. Enttabuisierung des Militärischen, zumal unter Berufung auf nationale Interessen, kann nur bedeuten, das Verhältnis von Regel und Ausnahme auf den Kopf zu stellen. Intervention als Alltagsgeschäft – ist das die Lehre aus den mörderischen Anschlägen vom 11. September?

Viele Einsichten gibt es ja nicht, die sich halbwegs gesichert aus dem Massenverbrechen ziehen lassen. Offenkundig geworden ist jedoch, dass in der breiten Palette denkbarer Mittel gegen terroristische Gewaltexzesse die militärischen die unbrauchbarsten sind. Die USA, die am meisten davon besitzen, waren dem vorwarnungslosen Überfall schutzlos ausgeliefert. Auch die sechs Wochen Luftkrieg in Afghanistan sind den Erfolgsnachweis schuldig geblieben. Zwar wurden die Fronten im Bürgerkrieg verschoben, aber weder konnten die Befehlsgeber der Attentäter dingfest gemacht noch konnte die Gefahr von Wiederholungstaten vermindert werden. Je länger die Angriffe dauern und je mehr Opfer sie fordern, umso weniger überzeugt die Formel vom Verteidigungskrieg.

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat am Tag nach den Anschlägen eine einzige operative Forderung erhoben: die Täter vor Gericht zu stellen und ihre Hintermänner zur Verantwortung zu ziehen. Und wie, bitte schön, wäre das zu bewerkstelligen?, müssen sich diejenigen fragen lassen, die der militärischen Antwort misstrauen. Schon einmal, im Februar 1993, waren die Zwillingstürme des World Trade Center Ziel eines terroristischen Angriffs radikaler Islamisten. Dass damals nur sechs und nicht fünftausend Menschen ums Leben kamen, verkleinert die Diabolik des Attentats nicht. Im Zuge zäher internationaler Ermittlungs- und Fahndungsarbeit wurden alle fünf Täter gefasst – drei noch in New York, einer in Ägypten und schließlich – wenngleich erst zwei Jahre später –, gemeinsam durch pakistanische Polizisten und amerikanische Agenten, auch der Kopf der Bande in Islamabad. Ein unauffälliger Vorläufer der Allianz gegen den Terror hatte sich bewährt. Ließe sich daraus möglicherweise etwas lernen? REINHARD MUTZ

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