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Otto Schilys „rechte Hand“ und die „kriminellen Verhaltensweisen“ in der Spielbank Hittfeld - ein Zwischenbericht

Am kommenden Mittwoch wird der Landtag in Niedersachsen die Novellierung des Spielbank-Gesetzes beraten. Da wird es auch um die Schlussfolgerungen der „kleinen“ Spielbank-Affäre aus den Jahren 1994-1998 gehen. Mehrere Millionen Mark sind durch „kriminelle Verstrickungen“ von Spielbank-Personal und Kundschaft aus dem Hamburger Rotlicht-Milieu veruntreut worden. Das war die Zeit, in der Claus Henning Schapper, der inzwischen als Staatssekretär bei Otto Schily für Sicherheit sorgt, in Hannover Aufsichtsratsvorsitzender der „Spielbanken Niedersachsen GmbH“ und als Staatsrat verantwortlich für die Aufsicht über die Spielbanken war.

„Wir haben den Augias-Stall ausgemistet“, sagt heute der zuständige Referatsleiter für die Spielbankaufsicht, Christoph Unger rückblickend auf die Zeit, in der Schapper die Verantwortung trug. Die unter Schapper in die Schlagzeilen geratene Spielbank sei inzwischen „sauber“: Der Spielbank-Chef ging in den Ruhestand, zwölf Mitarbeiter wurden mit Abfindungen an die Luft gesetzt, eine Video-Überwachung installiert.

Aber wie konnte es zu dem „Augias-Stall“ kommen, nachdem durch die alte Spielbank-Affäre eigentlich alle hätten gewarnt sein müssen? Wie viel Verantwortung trägt der ehemalige Staatssekretär? Darüber wird in Hannover immer noch gestritten.

Und nicht nur in Hannover. Das Landgericht Hamburg hat im Oktober darüber beraten, was in der Öffentlichkeit über die peinliche Affäre gesagt werden darf. „Der Staatssekretär im Bundesinnenministerium Claus Henning Schapper ist weder in kriminelle Machenschaften verstrickt noch hat er Ermittlungen behindert.“ ,Diesen Satz soll der Stern als „Richtigstellung“ in großen Buchstaben veröffentlichen, hat das Landgericht Hamburg am 12.10.2001 verkündet (324 O 291/01). Und dem Stern droht eine Geldstrafe von 500.000 Mark, wenn er die in der Ausgabe vom 29. März gestellte Frage, ob der Staatssekretär die Ermittlungen gegen kriminelle Machenschaften in der Spielbank behindert habe, wiederholt.

Der Gruner&Jahr-Verlag will sich aber von dem Hamburger Landgericht das Fragen nicht verbieten lassen und vor dem OLG Hamburg in Berufung gehen. Der Rechtsstreit hat grundsätzliche Bedeutung für die Abgrenzung von Pressefreiheit und Persönlichkeitsschutz. Beide Seiten wollen sich eine Klärung etwas kosten lassen.

Für den Staatssekretär von Otto Schily geht es um seinen guten Ruf. Für die Frage nach der „Verstrickung“ gebe es keinerlei Anhaltspunkte, schreibt das Gericht in seinem Urteil. Auch die Frage, ob der Staatssekretär Schapper die Ermittlungen „behindert“ habe, beanstandet das Gericht: „Auch die Verbreitung dieser Frage ist unzulässig, weil sie, ohne dass dies tatsächlich der Fall wäre, unterstellt, dass immerhin Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass der Antragsteller Ermittlungen behindert habe.“

Der niedersächsische CDU-Abgeordnete Uwe Schünemann hat sogar im Landtag erklärt, dass „wahrscheinlich sogar ehemalige Mitglieder der Landesregierung nicht nur nichts zur Aufklärung beigetragen haben, sondern sie vielleicht sogar verhindert haben...“ Darf also eine Zeitung nicht eine Frage wiederholen, die ein Landtags-Abgeordneter in öffentlicher Sitzung gestellt hat?

1. Ein geheimer Bericht

Im Frühjahr 1999 - Schapper war wenige Monate zuvor mit Otto Schily ins Innenministerium der Regierung Schröder aufgestiegen - legte der neue Staatssekretär Werner Lichtenberg im niedersächsischen Innenministerium einen vertraulichen Bericht über die Zustände in der Spielbank Hittfeld vor, der ein erschreckendes Sittengemälde darstellt.

Der interne Bericht enthüllt in den buntesten Farben das kriminelle Eldorado, das sich unter der staatlichen Aufsicht über Jahre entwickelt hatte: Beim Amerikanischen Roulette waren „bewusst fehlerhafte Spielabrechnungen“ aufgefallen. „Mögliche Schadensumme bei etwa einer Million Mark, lässt sich aber nicht genau abschätzen, da die Spielbanken Niedersachsen GmbH (SNG) auf eine Strafanzeige verzichtet hat“, heißt es in dem internen Bericht. Der stellvertretende Leiter der Spielbank P. „lebt mit ständigen Geldschwierigkeiten“, aus der Pleite eines Schuhladens seiner Frau blieben 600.000 Mark Schulden. „Golf-Spieler“ sei er, notiert der interne Bericht. Gleichzeitig habe P. über Bargeldsummen in sechsstelliger Höhe verfügt.

Der ehemalige Saalchef E. unterhält gute Kontakte zu Spielbank-Gästen, die unter den Spitznamen „Nase“ und „Zigarre“ als Geldeintreiber auf St. Pauli bekannt sind und mit der „Fürstenberg-Bande“ nach einem Einbruch in ein Hamburger Teppich-Lager aufgeflogen waren. „Ein Teppich aus einem anderen, zuvor begangenen Diebstahl soll angeblich in der Kantine der Spielbank Hittfeld sichergestellt worden sein...“ Ein Croupier habe monatlich 1.000 Mark Schweigegeld an seinen Souschef zahlen müssen, weil der ihn erwischt habe, wie er 260.000 Mark entwendet habe. Ein anderer Kassierer der Spielbank wird wegen mehrfachen Raubes zu acht Jahren verurteilt. Ein Souschef „steht im Verdacht, Diebstähle zu begehen. Dienstliche Verfehlungen werden vom Leiter der Spielbank toleriert.“ Möglicher Grund: Die Frau des Mannes hatte den ehemaligen HSV-Spieler Günther Netzer „der Spielbank zugeführt“. Es gibt Freikarten für HSV-Spiele und einen „Freiflug nach Mailand zum HSV-Spiel“ für den Spielbank-Chef.

Wilhelm Maitzen, lange Jahre Saalchef in Hittfeld, war 1998 gebeten worden, noch einmal einzuspringen. „So etwas habe ich in 43 Berufsjahren nicht erlebt“, sagt er. „Intern war es ein offenes Geheimnis, dass in Hittfeld geklaut wird.“ Maitzen berichtet, er habe die Leitung der Spielbank informiert. Ergebnis: „Mein Vertrag wurde nicht verlängert.“

In dem Bericht des Innenministeriums heißt es, dass die vorgelegten Hinweise nicht ausreichen würden, um die finanziellen Merkwürdigkeiten im Spielbank-betrieb zu erklären. Im Klartext: Nur die Spitze des Eisbergs ist auffällig geworden. Die Spielbank-Aufseher „schließen nicht aus, dass seit 1995 in einer über Einzeltaten hinausgehenden Weise Einfluss auf die Spielbank genommen worden ist (vorsichtig formuliert...)“

2. Keine Strafanzeigen bei kriminellen Verhaltensweisen

Strafanzeigen aber hatte es in diesen Jahren trotz der Hinweise des Landeskriminalamtes nie gegeben. Warum nicht? Am 27.10.1997 schrieb der Hittfeld-Chef Heinz-Dieter Wöstmann einen Brief an den Staatssekretär Schapper, in dem berichtet wird, aufgrund einer „ersten Anzeige eines Pagen“ sein man Diebstählen „auf der Spur“. Erfahrungsgemäß seien Belastungszeigen aber selbst „in Machenschaften verstrickt“, weiß Wöstmann. Als Zeugen würden sie daher nur aussagen, wenn das keine negativen Konsequenzen für wie hätte. „Wir möchten Sie daher um Einverständnis bitten, dass wir nach Abwägen aller Umstände ggf. berechtigt sind, auf die Kündigung von Mitarbeitern zu verzichten, die bereit sind, aussagen zu machen.“ Und dann geht der Geschäftsführer der Spielbank noch einen Schritt weiter: „In diesem Zusammenhang könnte es auch unter Umständen zweckmäßig sein, auf eine Anzeige bei den Ermittlungsbehörden zu verzichten.“ Am 10.3.1999 erinnert Spielbank-Chef Wöstmann den Nachfolger Schappers, Staatssekretär Lichtenberg, in einem Brief daran, dass es „vor ein/zwei Jahren“ schon einmal um die „Sinnhaftigkeit von Strafanzeigen“ gegangen war. „Dabei teilte man unsere Auffassung, dass eine intensive Ermittlungsarbeit durch Ge-schäftsführung und Aufsicht eher zu gewährleisten ist, wenn örtliche Polizei und Staatsanwaltschaft noch nicht eingeschaltet werden.“ Schappers Nachfolger Lichtenberg „teilt“ diese Auffassung keineswegs. Die Praxis, dass keine Strafanzeigen gestellt wurde, „haben wir sofort unterbunden“, erinnert sich der neue Referatsleiter für die Spielbank-Aufsicht.

In Wirklichkeit hatte der damalige Spielbank-Chef nämlich nicht nur auf Anzeigen gegen „Kronzeugen“, sondern auf jegliche Strafanzeige verzichtet.

3. Die Sache mit den Videokameras

Das LKA kam bei seinen Ermittlungen nicht weiter, deshalb wollte die Bezirksregierung im November 1997 eine videotechnische Überwachung des Spiels anordnen. Dem „Milieu“ sollte auch deutlich werden, dass jegliche Manipulation ein hohes Risiko birgt. Das hätte zur Folge haben können, dass Besucher, die die Kontrolle scheuen, nicht mehr gekommen wären. Der Spielbank-Chef Wöstmann antwortet der Bezirksregierung ausweichend, die Sache sei „sehr vielschichtig“ und er halte „eine Erörterung der Angelegenheit mit dem Innenministerium für sinnvoll“. Gegenüber der Bezirksregierung spielt Wöstmann auf Zeit: Die Beantwortung der von der Bezirksregierung gestellten Fragen benötige Zeit, schreibt er. Der Bezirksregierung reißt der Geduldsfaden, sie ordnete die Videoüberwachung an. Der Spielbank-Chef Wöstmann stellt in Zweifel, dass die Bezirksregierung dazu berechtigt ist. Und beklagt sich in einem Brief an Schapper: „Wir haben den sicheren Eindruck, dass die handelnden Herren der Bezirksregierung ihre Hauptaufgabe darin sehen, auch ohne konkreten Anlass über Gerüchte und Vermutungen aufgeklärt zu werden.“

Drei Monate später, am 23.2.1998 kam es zu der Unterredung im Innenministerium mit Schapper. Videoüberwachung? „Insbesondere das Moment der Notwendigkeit sieht Herr Schapper nicht ohne weiteres“, notiert der Vertreter der Bezirksregierung über das Gespräch. Der Regierungspräsident betont mehrfach, er möchte „die Wirksamkeit“ der Anordnung der Bezirksregierung festgestellt wissen. Und dann. „Herr Staatssekretär Schapper bat hier in seiner Eigenschaft auch als Aufsichtsratsvorsitzender der Spielbank um Verständnis, dass im Sinne der Spielbank die Probleme erst noch aufgeklärt werden müssten.“ Ein Jahr passiert nichts.

4. Manipulierte Roulette-Kessel

Bei den Spielbank-Spezialisten des LKA hatte schon lange ein böser Verdacht bestanden: Ein Roulette-Kessel lief falsch, war manipuliert. Der Kessel wurde aber nicht ausgewechselt und gewartet. Im Gegenteil: Man wechselte des Kessel an einen anderen Tisch. Aber die Kunden aus dem Rotlichtmilieu scheinen darüber informiert worden zu sein: Kaum war das Werkzeug weggepackt, spielten sie schlagartig an dem anderen Tisch.

Herbst 1998, Schapper verlässt seine Position beim niedersächsischen Innenministerium. Das LKA sieht die Chance, zuzuschlagen. Die Beamten klopfen bei der Spielbank an und erklären dem anwesenden Saalchef E. ihr Anliegen. „Erstaunlich war die Aussage des Saalchefs, dass es sich doch sicher um die Maschine aus Tisch 2 handelt“, notiert der Vertreter der Bezirksregierung erstaunt. Der böse Verdacht war in der Spielbank offenbar wohlbekannt.

Nachdem der Kessel beschlagnahme worden war, „beschwerte sich Schapper beim Landesinnenminister Bartling telefonisch, dass der Roulette-Kessel sichergesellt worden war“, wusste die BILD-Zeitung zu berichten. Der Vorgang ist auch bei den an der Beschlagnahme beteiligten Beamten des LKA bekannt. „Bartling verbat sich allerdings diese Einmischung“, weiss einer der LKA-Leute über die Reaktion auf den Anruf aus Schilys Ministerium.

Ergebnis der kriminaltechnischen Untersuchungen: Ein Steg war an dem Roulette-Kessel ein wenig hochgezogen worden. Die Kugel blieb davor also öfter liegen als an anderen Stellen.

5. Es wird durchgegriffen - seitdem Schapper weg ist

Im Herbst 1999 wurden auch die von der Bezirksregierung 1997 angeordneten Video-Kameras endlich installiert. In der Novelle des Spielbank-Gesetzes, das am kommenden Mittwoch im Landtag behandelt wird, soll geregelt werden, dass mit der Video-Kamera auch die Gesichter der Spielenden aufgezeichnet werden dürfen.

Im Lichte der heutigen Erkenntnisse mutet es schon erstaunlich an, dass im Dezember 1997 - also in einer Phase, in der noch kräftig abkassiert wurde - der Sachbearbeiter Schappers für die Spielbank-Aufsicht folgenden Gedankengang aufgeschrieben hat: Bei der Bewertung der von der Bezirksregierung zusammengestellten Vorwürfe gegen die Zustände in der Spielbank müssten „die mit der Einrichtung verfolgten Zwecke einbezogen werden“. Und dann kommt es: „Publikum aus dem Milieu ist durchaus erwünscht, es muss, wenn über die Spielbankaffäre Gelder zweifelhafter Herkunft indirekt „nachversteuert“ werden sollen, diese Gäste auch betreuen und mit ihnen in engen Kontakt treten. Es ist auch für anwesende Finanzbeamte schwer festzustellen, wann solche Kontakte ein tolerierbares Maß überschreiten und sich zum Nachteil der Spielbank und damit auch des Landes in eine Komplizenschaft verwandeln.“ Soweit das Innenministerium 1997 unter Schapper.

Der Nachfolger von Schapper, Werner Lichtenberg, bestätigt den Stilwandel in einem Pressegespräch. „Seit Anfang 1999 wird hart durchgegriffen“, sagte er den Journalisten. Lichtenberg bestätigte auch, dass es in Hittfeld ein „Beziehungsgeflecht zwischen Mitarbeitern der Spielbank und Kiezgrößen“ gegeben habe, durch „kriminelle Verhaltensweisen“ seien dem Land ein Schaden in Millionenhöhe entstanden.

6. Aufklärung behindert?

In der Landtagsdebatte im Februar 2001 hat der innenpolitischer Sprecher der CDU-Opposition, Uwe Schünemann, erklärt: „Wahrscheinlich haben sogar ehemalige Mitglieder der Landesregierung eine Aufklärung verhindert.“ Helmut Collmann, SPD-Landtagsabgeordneter, bemerkte in der Debatte, es sei falsch gewesen, keine Strafanzeige gegen Spielbank-Mitarbeiter zu stellen. Damit seien die „kriminellen Elemente in Hittfeld nur in ihrem Handeln bestärkt worden.“ Das gelte auch für die zeitliche Verzögerung bei der Installation einer Video-Überwachungsanlage, fügte der SPD-Abgeordnete hinzu.

Schapper wurde am 28.3.2001 vor den nichtöffentlichen Innenausschuss in Hannover geladen. Über seine Beziehung zu Wöstmann erläutere er, man kenne sich aus gemeinsamen Zeiten als Regierungsassistent in der Steuerverwaltung und im Finanzamt Braunschweig. Man habe einen „gemeinsamen Bekanntenkreis“, und: „Ich duze ihn auch seit jener Zeit“. In den Jahren 1993/1994 habe er, Schapper, sich „im Aufsichtsrat in der Tat dafür eingesetzt“, dass Wöstmann Geschäftsführer der Spielbanken Niedersachsen-GmbH wird.

Seine Rolle als oberster Niedersächsischer Spielbank-Aufseher spielte er herunter: „ Auf jeden Fall habe ich mich in keinem einzigen Fall damit befasst, dass gegen irgendjemand strafrechtliche Ermittlungen angestellt werden sollten ...“

CDU-Innenpolitiker Uwe Schünemann dazu: „Die Aktenlage zeigt, dass er im Innenausschuss nicht die Wahrheit gesagt hat.“ Klaus Wolschner

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