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Fröhlicher Protest statt Politaskese

Zwischen Veganerküche und Basisgruppe: In Dresden debattierte und feierte der 9. Jugendumweltkongress. Statt groß papierne Verlautbarungen auszubrüten, plante man lieber die Blockaden und Proteste des Jahres

DRESDEN taz ■ Der Spaß auf dem JUKSS, dem 9. Jugendumweltkongress in Dresden, sei nicht zu kurz gekommen, versichern Teilnehmer. Mittendrin in der vollen Woche, die sie vom 26. Dezember an gemeinsam verbrachten, lag schließlich Silvester. Die Aula des Fritz-Löffler-Schulgebäudes im spröden Charme der Fünfzigerjahre, einst der sowjetischen Aktivistin Soja Kosmodemjanskaja gewidmet, sah eine ausgelassene Feier mit Kleinkunst und Kabarett.

„Der Kongress ist nicht unpolitisch, aber wir treiben keine Politaskese.“ So beschrieb Politikstudentin Franziska Müller aus Tübingen gestern die Atmosphäre. Es ging den 500 Teilnehmern weniger um die Abfassung wortreicher Resolutionen als um die Vorbereitung praktischer Aktionen – und ein gemeinsames Lebensgefühl.

Vorzubereiten gab es dabei genug: so die Beteiligung am Anti-Castor-Sommercamp im Wendland, am Münchner Nato-Gipfel im Februar und am antirassistischen deutsch-französischen Grenzcamp.

Dabei wollte der Kongress selbst Modell für die Gesellschaft stehen: basisdemokratisch und selbst organisiert. Anarchie im besten Sinn – auch wenn die Organisatoren diesen traditionellen Begriff der Bewegung inzwischen als zu negativ besetzt empfinden.

Dabei waren es nicht nur die teilnehmenden Autonomen, die den Kongress so organisieren wollten. Es gab einen Konsens darüber, dass die meist inhaltlich fixierten Basisgruppen und das Plenum die wesentlichen Entscheidungsgremien sein sollten. Die etwa zwanzigköpfige Vorbereitungsgruppe ging in ihnen auf. „Das Schulamt wollte kaum glauben, dass so etwas ohne verantwortliche Person funktioniert“, sagte gestern Franziska Müller stolz auf der abschließenden Pressekonferenz. „Und dass das Gebäude nicht als Müllhalde hinterlassen wird.“

Rund 100 Workshops bildeten den inhaltlichen Kern des Kongresses. Bildend und meinungsbildend vor allem, wie der Berliner Sven Cronenberg betont. Pluralität blieb trotz des Grundkonsenses „Umweltschutz und Selbstbestimmung“ gewahrt. So gingen die Meinungen beispielsweise zum Ansatz von Attac auseinander, obgleich alle die Globalisierungsfolgen kritisch sehen. Doch selbst auf Nachfrage der Journalisten wollten die Organisatoren gestern nicht damit herausrücken, was denn nun konkret an Attac kritisiert wurde. So weit ging die Offenheit dann doch nicht.

Ohne Rückhalt blieben die Grünen: Die Kommentare zur Politik der einstigen Bewegungspartei unterschieden sich nur im Maß der Enttäuschung von „keine Hoffnung“ bis zu „klarer Ablehnung“. Der Kosovo-Krieg markiere hier einen Wendepunkt, sagte Cronenberg.

Das Meinungsspektrum war aber auch nicht so groß, dass es nicht für eine gemeinsame Resolution zum kommenden „Rio + 10“-Gipfel in Johannisburg gereicht hätte. In ihr wird die Verwässerung der Ideale angeprangert, angefangen von den „lächerlichen“ Klimazielen von Kioto und Marrakesch bis hin zur halbherzigen Agenda 21. Der schwammige Begriff „nachhaltige Entwicklung“ gaukele einen Konsens zwischen Konzernen und Umweltgruppen vor.

Das Umweltbewusstsein unter Jugendlichen schlafe keinesfalls ein, urteilte Müller. Und etwa ein Viertel der Teilnehmer stamme aus Ostdeutschland – offenbar sei das Umweltbewusstsein dort nicht so unterentwickelt, wie oft angenommen. MICHAEL BARTSCH

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