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Der Kalte Krieg an der Elbe

30 Jahre Radikalenerlass in der Bundesrepublik: Die Vordenker kamen aus der Hamburger Sozialdemokratie. Heute beginnt in der Hansestadt ein Kongress zur Rehabilitierung der Opfer  ■ Von Kai von Appen

Die Idee entsprang 1971 den Köpfen Kalter Krieger aus der Hamburger Sozialdemokratie: Während SPD-Bundeskanzler Willy Brandt und seine sozialliberale Koalition international das Ende des Kalten Krieges mit der DDR predigten, sollte in der Bundesrepublik den antikapitalistischen Kräften eindrucksvoll verdeutlicht werden, dass das KPD-Verbot von 1956 kein Ausrutscher war. Unter der Ägide des Juristen und Ersten Hamburger Bürgermeisters Peter Schulz (SPD) und dessen Vize Helmuth Kern wurden an der Elbe die Pläne für einen Radikalenerlass geschmiedet, der später unter den Namen „Berufsverbote“ international geächtet werden sollte.

Dass die Wurzel in der Elbmetropole lag, mag nicht verblüffen. Nach dem Ende der studentischen außerparlamentarischen Opposition (APO) strömten die Studierenden besonders in die Metropolen. Viele schlossen sich in Gruppen zusammen und gaben der „Neuen Linken“ Strukturen. Organisationen wie der Kommunistische Bund – kurz „KB“ genannt – oder der Kommunistische Bund Westdeutschland (KBW) entstanden. Hamburg zählte zu ihren Hochburgen. Aber auch die Trotzkisten (GIM) oder die albanienorientierte KPD/ML sowie die maoistische KPD/AO konnten in Hamburg auf eine nicht geringe Anhängerschaft zählen. Zuwachs verzeichnete auch die moskautreue und DDR-hörige Deutsche Kommunistische Partei (DKP), die die KPD-Nachfolge für sich in Anspruch nahm.

Parallel zu dieser Organisierung stellte sich für die jungen Linken am Ende ihres Studium die Frage der Berufswahl. Während ein kleinerer Teil in die Wirtschaft ging, wollte das Gros intellektuelle Berufe im Öffentlichen Dienst ergreifen. So kam es, dass auf Initiative Hamburgs und auf Anraten Willy Brandts am 28. Januar 1972 die bundesdeutschen Ministerpräsidenten den „Radikalenerlass“ verabschiedeten: Wer im Öffentlichen Dienst arbeiten wollte, musste seine Verfassungstreue unter Beweis stellen und sich einer Überprüfung unterziehen.

Die Folgen des Beschlusses waren verheerend. Wer in einen Haus wohnte, wo am 1. Mai von einem Balkon eine rote Fahne wehte, war verdächtig, musste davon ausgehen, das sein Telefone angezapft wurde oder Observationen stattfanden. Um ins Raster zu fallen, reichte es aus, jemanden zu kennen, der jemanden kannte, der womöglich mit einer katalogisierten Organisation sympathisierte. So genannte Linkenkneipen wurden verwanzt und Treffen von vermeintlichen konspirativen Zirkeln systematisch belauscht oder durch V-Leute ausspioniert.

Mit Hilfe von 3,5 Millionen Regelanfragen beim Verfassungsschutz (VS) wurden BewerberInnen für den Öffentlichen Dienst überprüft. 35.000 personenbezogene Dossiers haben Behörden und Geheimdienste erstellt. Offiziell gab es 11.000 Berufsverbotsverfahren, 1250 Ablehnungen und 265 Entfernungen aus dem Staatsdienst. Die genauen Zahlen für Hamburg weiß niemand, da sich der VS ungern in die Karten schauen ließ und es noch keine Datenschutzbeauftragten gab.

Nicht nur LehrerInnen oder AnwärterInnen für wichtige Funktionen gerieten ins Visier, sondern auch BriefträgerInnen, ÄrztInnen oder ZollbeamtInnen. Aber auch Privatunternehmen nutzten die Schnüffelwut, um sich als politisch gefährlich eingestufte Personen als neue Beschäftigten vom Leib zu halten, die womöglich wegen ihrer Grundhaltung den Betriebsfrieden stören könnten, indem sie neue Betriebsräte aufbauen und die miserablen Arbeitsbedingungen anprangern.

Der SPD-dominierte DGB-Apparat mischte bei dieser Politik kräftig mit, indem seine Gewerkschaften Unvereinbarkeitsbe-schlüsse verabschiedeten. Dabei machten pikanterweise gerade die von dem Berufsverbot betroffenen DKPler mit – weil sich die Unvereinbarkeitsbeschlüsse nur gegen so genannte „K-Gruppen“ richtete.

Doch in Europa geriet die Bundesrepublik mit ihrer Praxis ins Abseits: Kaum ein Land konnte die Kommunisten-Hatz nachvollziehen, viele sahen darin vielmehr einen Verstoß gegen die Menschenrechte. 1979 ächtete das Internationale „Russel Tribunal“ die Politik von BRD und DGB. Die Proteste zeigten Wirkung: 1980 kündigte der damalige SPD-Bürgermeister Hans-Ulrich Klose überraschend das Ende der Berufsverbotepraxis für die Hansestadt an. Er sei ihm lieber, 20 Extremisten im Staatsdienst zu dulden, als 20.000 demokratie-verunsicherte SchülerInnen zu produzierten. Gleichzeitig bezeichnete auch Ex-Bundeskanzler Willy Brandt den Radikalenerlass als einen „schweren Fehler“. Erste Gewerkschaften strichen den Unvereinbarkeitsbeschuss aus ihren Satzungen. Doch offiziell wurde die Praxis nie revidiert. Bis Mitte der achtziger Jahre wurde sie in einigen Ländern und Bundesbehörden sogar weiter praktiziert.

In Hamburg wurde die Idee geboren, in Hamburg wurde sie auch als erstes zu Grabe getragen. Es mag daher nicht verwundern, wenn Hamburg heute und morgen Schauplatz eines bundesweites Kongresses ist, um die Rehabilitierung aller Berufsverbote-Opfer durchzusetzen (siehe Kasten). Obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 1995 die bundesdeutsche Praxis als Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention geächtet hat, kämpfen noch heute mehrere Betroffene um ihre Rehabilitierung.

Ein Beispiel ist der Hamburger Zollbeamte Uwe Scheer, der vor kurzem vor dem Verwaltungsgericht Hamburg nach jahrzehntelangem Rechtsstreit immerhin einen Teilerfolg erlangte. Dennoch weigert sich die Oberfinanzdirektion weiterhin, den 1985 wegen seiner Kandidatur für die DKP mit Berufsverbot belegten Zöllner zu rehabilitieren und wieder in den Beamtenstatus zu versetzen. Auch nicht als Geste für den langjährigen Mitarbeiter kurz vor seiner Pensionierung.

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