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Berlin schlägt sich prima

Bei der Bekämpfung häuslicher Gewalt ist die Haupstadt Vorreiter. Von den Frauenhäusern über Interventionsprojekte bis hin zur Polizei: Das gesellschaftliche Bewusstsein für dieses Problem wächst

von PLUTONIA PLARRE

Die Krankenschwester der Notfallambulanz erkennt es auf den ersten Blick: Die Platzwunde unter dem Auge rührt unmöglich von einem selbstverschuldeten Sturz auf die Tischkante her. Auf die behutsame Nachfrage bricht es aus der Patientin heraus: Ihr betrunkener Ehemann sei über sie hergefallen. Nicht zum ersten Mal. „Was soll ich nur tun? Ich habe solche Angst“.

Auf Fälle wie diese sind Pflegepersonal und Ärzte des Universitätsklinikums Benjamin Franklin (UKBF) gut vorbereitet. „S.I.G.N.A.L.“ nennt sich das Modellprojekt, das Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt geworden sind, über die medizinische Versorgung hinaus beratend zur Seite steht. Mit einem Aktionstag im Beisein von Bundesfamilienministerin Christine Bergmann (SPD) feierte das Projekt gestern im UKBF sein zweijähriges Bestehen. Rund 107 Schwestern und Pfleger sowie 160 Ärzte seien im UKBF für den Umgang mit misshandelten Frauen geschult worden, hieß auf einer Pressekonferenz. 82 Fälle von Misshandlungen seien seit der Gründung des Projekts vom medizinischen Personal erkannt und von den Opfern auf Nachfrage bestätigt worden. Eine Ausweitung auf andere Krankenhäuser sei mehr als wünschenswert.

„Es hat lange gedauert, bis sich durchgesetzt hat, dass Gewalt gegen Frauen keine Privatangelegenheit ist“, sagte Bundesministerin Bergmann. Im Vergleich zu vor 20 Jahren, als das erste Frauenhaus gegründet wurde, habe sich das gesellschaftliche Klima spürbar verändert. Vor allem in der Hauptstadt. „Berlin“, so Bergmann, „ist Vorbild für andere Länder geworden“. Sogar in Spanien sei sie unlängst bei einem Treffen der europäischen Gleichstellungsbeauftragten auf die Berliner Projekte angesprochen worden. Dass mit S.I.G.N.A.L nun auch der Gesundheitsbereich berührt sei, „erfüllt mich mit großer Freunde“.

Tatsächlich hat die Hauptstadt im Vergleich zu anderen Bundesländern einiges vorzuweisen. Ohne die Vorarbeit der Frauenprojekte und Frauenhäuser, die sich schon frühzeitig des Themas annahmen, wäre es zu dem Bewusstseinswandel wohl kaum gekommen. 1995 folgte die Gründung des „Berliner Interventionsprojektes gegen häusliche Gewalt“ (BIG). Die aus unabhängigen Frauenprojekten und Behördenmitarbeitern bestehende Interventionsgruppe bietet via Hotline rund um die Uhr Beratung und Hilfe an. Die Arbeit fiel schließlich auch bei der rot-grünen Bundesregierung auf fruchtbaren Boden. 1999 beschloss sie einen Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen.

Bestandteil dieses Plans ist ein bundeseinheitliches, zivilrechtliches Gewaltschutzgesetz, das Anfang 2002 in Kraft trat. Mit dem Gesetz können Frauen bei Gericht leichter durchsetzen, dass nicht die Geschlagene sondern der Schläger die eheliche Wohnung verlassen muss.

Zeitgleich mit dem Inkrafttreten des Gesetzes hat die Berliner Polizei zu Jahresbeginn in der Direktion 7 einen sechsmonatigen Probelauf gestartet, der bundesweit mit großem Interesse verfolgt wird: Die Polizei verhängt gegen gewalttätige Lebenspartner zunehmend auf zwei bis sechs Tage befristete Platzverweise aus der gemeinsamen Wohnung. Im Klartext: Die Herren der Schöpfung werden ausgesperrt, damit die Frau ohne Pressionen vor Gericht ziehen und zivilrechtliche Schutzmöglichkeiten erwirken kann.

Seit Anfang des Jahres seien „mehr als 12 Platzverweise“ ausgesprochen worden, sagt Kriminaldirektorin Ursula Falkenstern, die das Pilotprojekt koordiniert. Rechtlich hat die Polizei nach dem Berliner Landespolizeigesetz zwar schon lange die Handhabe, Wohnungsplatzverweise auszusprechen. In der Vergangenheit sei davon aber nur „sehr zurückhaltend“ Gebrauch gemacht worden, hat Innensenator Ehrhard Körting (SPD) unlängst in einem schriftlichen Bericht festgestellt.

Diese Zeiten sind offenbar vorbei. Schon jetzt zeigt sich, dass der auf den Nordosten Berlins beschränkte Probelauf in anderen Direktionen Nachahmer findet. Auch in Spandau und Zehlendorf-Steglitz seien bereits Platzverweise ausgesprochen worden, freut sich Falkenstern über die zunehmende Sensiblität der Beamten.

Aber noch in anderer Hinsicht scheint Berlin Vorreiter zu sein. Ein Männerinitiative plant ein Haus für geprügelte Männer.

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