BENEŠ-DEKRETE: DER VERNUNFTFREIE TIEFSCHLAF DES VÁCLAV KLAUS: Berechtigte Sorge, monströser Vorschlag
Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer. Während eines solchen vernunftfreien Tiefschlafs erklärte jüngst Tschechiens Parlamentspräsident Václav Klaus, die Beneš-Dekrete von 1945 müssten Bestandteil des Vertrages werden, der Tschechiens Beitritt zur Europäischen Union regelt. Ein juristisch, vor allem aber politisch monströser Vorschlag. Wie können Dekrete, die nach unserem heutigen Verständnis massiv die Menschenrechte einer Volkgruppe, der Sudetendeutschen, verletzten, in einem Vertragswerk figurieren, das menschenrechtlichen Normen unterworfen ist?
Ebenso oft wie vergeblich ist (auch in dieser Zeitung) an die Bundesregierung appelliert worden, endlich auf mögliche Schadensersatzansprüche zu verzichten, die ihr als Rechtsvertreter der Sudetendeutschen wegen deren Vertreibung zustehen könnten. Auch die gemeinsame Erklärung von 1997, in der die tschechische Seite die humanitäre Katastrophe der Vertreibung bedauert, lässt Vermögensfragen offen. Immerhin legt sie fest, dass beide Seiten ihre Beziehungen nicht mit aus der Vergangenheit herrührenden politischen und rechtlichen Fragen belasten werden. Trotz des Drängens der Sudentendeutschen Landsmannschaft und des Freistaats Bayern hat deshalb die Bundesregierung die Beneš-Dekrete nicht zum Brüsseler Verhandlungsgegenstand gemacht, auch die österreichische Regierung tut das nicht. Wo liegt also das Problem?
Es ist die in Tschechien weit verbreitete Sorge vor Restitutionsansprüchen und finanziellen Forderungen, aus der Václav Klaus seinen nationalistischen Honig saugen will. Nur deshalb hält auch das tschechische Verfassungsgericht an der fortdauernden Geltung der Dekrete fest. Diesen Sorgen und Ängsten müssen wir uns zuwenden, während die EU die Beneš-Dekrete als bilaterales Problem betrachten kann. Wir können die tschechische Öffentlichkeit schlecht ermuntern, sich endlich den schrecklichen Folgen der Beneš-Dekrete zu stellen, wenn wir nicht gleichzeitig einen dicken Schlussstrich unter Vermögensansprüche an die tschechische Seite ziehen. CHRISTIAN SEMLER
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