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Kein Ausweg aus Tod und Schmerz

Immer enger wird der Teufelskreis politischer Gewalt im Nahen Osten, immer mehr Menschen werden ihr Opfer. Eine politische Lösung ist nicht in Sicht

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

Der erste Schlag kam am Sabbatabend: Ein Selbstmordattentäter sprengte sich im Jerusalemer Viertel Mea Scharim in die Luft. Zehn Menschen, unter ihnen eine ganze Familie, riss er mit in den Tod, dutzende wurden verletzt. Mea Scharim ist fast ausschließlich von religiösen Antizionisten bewohnt. Knapp zwei Kilometer entfernt hatten sich gerade ein paar tausend Friedensaktivisten zu einer Demonstration versammelt. Ein nach einem vereitelten Terroranschlag vor gut einem Jahr angebrachtes Schild mit dem Hannuka-Vers „Ein großes Wunder hat sich hier ereignet“, hing am Sonntag noch halb verkohlt über dem Eingang einer Talmudschule. Mit dem Attentat sollte der Tod von dreißig Palästinensern gerächt werden, die im Verlauf der israelischen Militärinvasionen in zwei Flüchtlingslager erschossen worden waren.

Zehn Stunden später der zweite Schlag: Mit kaltblütiger Professionalität wartete ein palästinensischer Scharfschütze an einem relativ isolierten Kontrollpunkt nahe einer jüdischen Siedlung bei Ramallah auf seine Opfer und erschoss einen Israeli nach dem anderen. 25 Kugeln aus dem Lauf eines einfachen Karabiners reichten ihm, um zehn Menschen zu töten und fünf zu verletzten. Erst als sein Gewehr von einer israelischen Kugel getroffen wurde, flüchtete er offenbar unverletzt in die palästinensische Autonomiezone. „So etwas habe ich noch nicht erlebt“, kommentierte die langjährige Militärkorrespondentin der „Stimme Israels“, Carmela Menasche, fassungslos. Die Reaktionen auf die Anschläge waren vorhersehbar: Jubelkundgebungen von Palästinensern, Luftangriffe der israelischen Armee. Wieder starben vier Palästinenser. Zwei Israelis wurden bei weiteren Anschlägen getötet.

Angesichts des auf israelischer Seite mit 21 Todesopfern schlimmsten Wochenendes seit Beginn der Intifada und angesichts der Tatsache, dass nicht islamische Fundamentalisten, sondern die Fatach-nahen Al-Aksa-Brigaden die Verantwortung für den Terror übernahmen, wurde im Verlauf der Sitzung des israelischen Kabinetts am Sonntag erneut der Ruf nach einem massiveren Vorgehen gegen die Autonomiebehörde laut. Erziehungsministerin Limor Livnat machte sich dafür stark, den Zusammenbruch der Palästinenserführung herbeizuführen, ihre Parteikollegin Zippi Livni mahnte pragmatischer bei den Sicherheitsorganisationen erstmal eine Analyse für „den Tag danach“ an. Militärbeobachter rechnen mit einer Fortsetzung der bisherigen Strategie: massive Angriffe überall dort, wo Terroristen vermutet werden.

Einer direkten militärischen Konfrontation mit der palästinensischen Führung weicht die israelische Regierung vorläufig aus. Zum einen fürchtet Premier Scharon für diesen Fall nicht nur die internationalen Reaktionen, sondern auch eine für Israel ungünstige Entwicklung in den Palästinensergebieten. Scharon setzt auf eine Fortsetzung der Militärgewalt parallel zu diplomatischen Anstrengungen zur Beruhigung der Situation. Offiziell gilt Arafat unverändert als nicht relevant. Erst am Sonntag entschied das Kabinett erneut über eine Aussetzung sämtlicher Kontakte, darunter auch die Treffen der Sicherheitschefs beider Seiten. Inoffiziell wurden jedoch bisher ungeachtet ähnlicher Entscheidungen die Gespräche stets fortgesetzt. In kurzen Abständen traf sich vor allem Scharons Sohn Omri mit palästinensischen Ministern und Beratern Arafats. Der Premier selbst hatte erst vor kurzem die Fortsetzung seiner Gespräche mit dem palästinensischen Parlamentspräsidenten Abu Ala und anderen „Persönlichkeiten“ erwogen.

Scharons unverhülltes Ziel, Arafat durch die Kontakte zu „moderateren Kräften“ zu umgehen, ist indes illusorisch. Trotz seiner deutlich geschwächten Position hat der Palästinenserpräsident noch immer die alleinige Entscheidungsmacht. Ohne seine Zustimmung wird selbst Abu Ala einen Besuch im Büro Scharon nicht wagen. Gleichzeitig ist mehr als fraglich, ob Scharon die Reisebeschränkungen für Arafat, der seit Monaten in Ramallah festsitzt, noch lange aufrechterhalten kann. Der Druck auf die Regierung wächst mit jedem Tag, den die für Ende des Monats angesetzte Gipfelkonferenz der Arabischen Liga in Beirut näher rückt. Hauptthema wird dort die saudi-arabische Friedensinitiative sein, über die die Mitgliedsstaaten entscheiden sollen und die für niemanden von größerer Bedeutung ist als für den Palästinenserführer.

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