: Der Kampf um die Herzen
Saddam Husseins Haussender beschallen den Irak mit Anti-USA-Propaganda. Die Amerikaner versuchen ihrerseits, sich mit dem Medienprojekt „Free Muslim World“ ihre Pfründen zu sichern
von ROLAND HOFWILER
Wer ist der größte Terrorist aller Zeiten? Wer es noch nicht weiß, der höre einmal „Irak Radio“ aus Bagdad: Es ist George W. Bush und das „Terrornetzwerk CIA“. Seit Jahren dröhnt der Staatssender des Diktators Saddam Hussein gegen das „faschistische Amerika“, hetzt gegen die „Zionisten in Palästina“ und droht der westlichen Welt mit Vergeltung. „Sollte es jemand wagen, unser Land in eine Kolonie zu verwandeln, in ein zweites Afghanistan“, so kürzlich ein Kommentator, „dann werden die irakische Regierung und das irakische Volk nicht zögern, die Zionisten ins Meer zu treiben und die Amerikaner aus den Heiligen Stätten des Islams nach Hause zu jagen.“
Doch wer diese und ähnliche Hasstiraden über sich ergehen lassen will, der muss Arabisch verstehen. Ein englischsprachiger Propagandaservice existiert nicht. Der Internetauftritt der irakischen Presseagentur INA ist dürftig, die Iraq Daily News wird verspätet und nur mit kurzen Beiträgen ins Netz gestellt (www.uruklink.net/iraqdaily).
Selbst die arabischsprachige Selbstdarstellung lässt zu wünschen übrig. Staatsradio und -fernsehen sind zwar auch als Audio-live-Stream im Internet vorhanden (www.iraqtv.ws), doch nur über sehr schwache Server, was einen Empfang oft unmöglich macht.
Im Vergleich zu den meisten arabischen Staaten ist die Mediensituation im Irak weit zurückgeblieben, möglicherweise eine Folge des seit Jahren bestehenden UNO-Handelsembargos. Wenige Zeitungen erscheinen, Radio- und Fernsehgeräte gehören nicht zu jedem Familienhaushalt. Anders als etwa Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi, das saudi-arabische Königshaus oder die iranische Regierung, unternimmt das Regime unter Saddam jedenfalls derzeit keine Anstrengungen, sich in der islamischen Welt mittels starker Sendeanlagen und einiger Fremdsprachenprogramme etwas Gehör zu verschaffen. Untypisch für eine Region, in der jede Regierung glaubt, ihren Standpunkt zur Weltpolitik allen Nachbarn ausführlich erklären zu müssen. Selbst der Erzfeind Iran bleibt von irakischer Seite im Äther verschont, nicht aber umgekehrt. Teheran versucht in speziellen Programmblöcken die Bevölkerung des Iraks gegen Saddam aufzustacheln – und das schon seit Jahren.
Geradezu überschüttet wird Bagdad dagegen mit Propaganda made in USA: Zahlreiche Oppositionsgruppen und Exilpolitiker versuchen, mit amerikanischer Hilfe die Herrschaft des irakischen Diktators zu untergraben. Das US-Außenministerium stellt dem irakischen Exilnationalkongress jährlich mehrere Millionen Dollar bereit, um Büros zu eröffnen und Saddam-feindliche Radio- und Fernsehprogramme auszustrahlen. Was an Gegenöffentlichkeit zu Stande kommt, ist allerdings kaum der Rede wert. Weder der „al-Mustaqbal“-Medieninitiative noch dem „Hurriah-Radio“, der offiziellen Stimme des Nationalkongresses, ist es bislang gelungen, einen kontinuierlichen Sendebetrieb aufzubauen. Die kurdischen Exilsender aus dem Iran und der Türkei wenden sich ihrerseits nur an ihre kurdischen Landsleute im Irak.
Rund um die Uhr sendet dagegen „Radio Free Irak“ (www.rferl.org/bd/iq), mit Standort Prag. Zusammen mit „Radio Free Afghanistan“ gilt der Sender als Keimzelle des US-Mammutsendeprojekts „Free Muslim World“, das künftig „die amerikanischen Ideale von Demokratie und Freiheit“ von Marokko über Afghanistan bis zu den Philippinen in muslimische Ohre tragen soll. Mit einem Mix aus Politik und flotten Rhythmen wollen die Amerikaner in den kommenden Jahren an die 500 Millionen Muslime weltweit anlocken, meist jugendliche Hörer zwischen 15 und 30 Jahren. „The battle for the hearts and minds“, der Kampf um die Herzen mit medialen Mitteln, soll zum Gegenpol der „terroristischen Propaganda aus den Schurkenstaaten“ werden. So sehen es zumindest die US-Planspiele vor.
Ob „Radio Free Irak“ die Menschen im Irak wirklich erreicht, darüber liegen keine unabhängigen Angaben vor. Und ob sich Saddam vor dem US-Sender fürchtet, darüber kann nur spekuliert werden. Immer wieder tauchen in amerikanischen Zeitungen Berichte auf, wonach irakische Agenten schon mehrfach versucht hätten, ein Attentat auf die Sendestudios durchzuführen. Aus Angst vor Anschlägen überlegen die Amerikaner angeblich schon seit längerem, die Sendeanlagen von „Radio Free Irak“ und „Radio Free Afghanistan“ aus der Prager Innenstadt an einen strategisch sichereren Ort zu verlegen. Der Großraum Budapest ist dabei im Gespräch, aber auch abgeschiedene Bergtäler in der Hohen Tatra. Doch wer weiß, vielleicht sind diese Berichte nur Teil der von Washington selbst eingestandenen „Desinformationskampange“ im Kampf gegen die „Achse des Bösen“. Der irakische Diktator gibt zumindest die Vorlagen im Propagandakrieg. Er werde nicht zögern, ließ er über seinen Haussender „Radio Irak“ verbreiten, sollten die Amerikaner weiter an der Entwicklung von Miniatombomben arbeiten, werde sein Land „entsprechend antworten“.
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