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Korruptionsbilanz statt Wahltag

Die SPD in Nordrhein-Westfalen wollten heute eine strahlende Kandidatenkür zur Bundestagswahl vornehmen. Nun müssen sie die Genossen einzeln auf Korruption abklopfen. Ministerpräsident Clement: Es geht um den Ruf und die Ehre der SPD

aus Köln PASCAL BEUCKER

In Begeisterung wollten sich die Genossen heute im Congress Centrum Düsseldorf reden. Ein Jubelparteitag sollte es werden, wenn die nordrhein-westfälische SPD ihre Landesliste zur Bundestagswahl aufstellt. Land unter bei den Sozialdemokraten an Rhein und Ruhr. Landesparteichef Harald Schartau muss nun den Delegierten zunächst einen Bericht um Spendenskandal der Kölner SPD präsentieren. Er wird vieles zu erklären haben. Nicht nur in der Domstadt hat die Partei Probleme.

Auch in Wuppertal, Recklinghausen und Bielefeld stehen führende Sozialdemokraten unter Verdacht, in illegale Machenschaften verwickelt zu sein. So musste am Montag Peter Rausch als Chef der Recklinghäuser SPD zurücktreten. Kurz zuvor war der 52-Jährige als Geschäftsführer der städtischen Wohnungsgesellschaft wegen „interner Vorfälle“ fristlos gekündigt worden. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft besteht gegen ihn der Anfangsverdacht der Untreue und Bestechlichkeit. Rausch soll Baufirmen Aufträge gegeben haben – um sich im Gegenzug sein Privathaus renovieren zu lassen.

In Wuppertal durchsuchten Staatsanwaltschaft und Polizei am Donnerstag die Räume des sozialdemokratischen Oberbürgermeisters Hans Kremendahl und des SPD-Unterbezirksgeschäftsführers Jörg Biesterfeld. Kremendahl soll von dem Bauunternehmer Uwe Clees im Kommunalwahlkampf 1999 mit Spenden in Höhe von insgesamt 256.000 Euro unterstützt worden sein. Davon soll sich Clees eine Bevorzugung bei der Vergabe von Bauprojekten versprochen haben. Clees will auch an die CDU gespendet haben. Der 53-jährige Kremendahl bestreitet die erhobenen Vorwürfe.

Und dann gibt es da noch den Fall Günter Rixe. Gegen den langjährigen Bundestagsparlamentarier ermittelt die Bielefelder Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft. Der 62-Jährige, der bis 1998 für die SPD im Bundestag saß, soll sich zwischen 1995 und 2000 durch Betrug, Untreue und wettbewerbswidrige Absprachen bei Ausschreibungen um mindestens 250.000 Euro bereichert haben. Die Ermittler sprechen von einem „richtigen kriminellen Masterplan“. Zwei Monate lang saß Rixe deswegen in Untersuchungshaft. Am 1. März wurde er gegen eine Bankbürgschaft auf freien Fuß gesetzt – die Untersuchungen gehen weiter.

Nicht wenige zweifeln, dass es sich bei der Kette von kommunalen Verfilzungen noch um „Einzelfälle“ handeln kann. SPD-Landeschef Schartau muss unablässig versprechen, seine Partei sei an „restloser Aufklärung interessiert, weil Einzelne ein System geschaffen haben, das die ganze Partei in Misskredit bringt“. Ministerpräsident Wolfgang Clement sieht das Ganze noch drastischer: Die SPD kämpfe „um ihren Ruf und ihre Ehre“.

Einer warf gestern freiwillig das Handtuch und gab sein Parteibuch zurück: der frühere Kölner SPD-Geschäftsführer Arno Christensen. Er kam damit seinem Parteiausschluss zuvor. Insgesamt sollen 38 SPD-Mitglieder und vier ihrer Ehegatten in Köln solche fingierten Spendenquittungen erhalten haben. Die meisten von ihnen haben sich immer noch nicht offenbart. Bis Montag noch haben die 109 örtlichen Amts- und Mandatsträger der SPD Zeit dazu, eine Ehrenerklärung zu unterzeichnen oder sich einer vom Landesverband eingesetzten Kommission um den ehemaligen Justizminister Jürgen Schmude zu offenbaren. Die Innenrevision der Partei soll freilich bis heute sicherstellen, dass sich hinter keinem der 79 Kandidaten für die NRW-Landesliste ein möglicher „Quittungsempfänger“ verbirgt. Das, so sagt ein nordrhein-westfälischer Spitzengenosse, wäre der „absolute Super-Gau“.

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