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themenläden und andere Clubs Das Ausgehen als beständige ZeitschlaufeHistorische Drogen

Die Zukunft des Ausgehens liegt in der Vergangenheit. Da kann man sich noch so abmühen neue Trends zu erfinden, kann in Karaoke-Bars singen, in Imbissbuden abhängen, zu Hause bleiben, sich auf Parkplätze stellen und an Tankstellen rumlungern. Es gab in Berlin eigentlich immer nur den einen Trend: das gemeinschaftliche, unmotivierte Rumstehen in geheimen crazy Underground-locations.

Dieser Trend entstand so um 1995 und letztes Wochenende konnte seine endgültige Rückkehr ausgemacht werden. Die Sneewitchen-Lounge zum Beispiel ist ein verwinkeltes Kellerlabyrinth das, wie viele Bars der wilden Gründerjahre, nur über halsbrecherische Holzstiegen erreicht werden kann. Hinter Türabhängungen aus muffigen Wolldecken, die einem kratzig ins Gesicht fallen, tut sich ein Raum nach dem anderen auf: Eine Bar, ein Tanzraum, eine Spielhölle mit Flipperautomaten, ein Heimkino, dann wieder schlichtes Gemäuer mit bedeutungsvollen Lyrikanschlägen.

Eimertiefe Bodenunebenheiten werden fürsorglich mit Teelichtern ausgefüllt. Aber das liebliche Flackern der Lichter, die als Tresen fungierende Holzlatte und die liebevoll an einen Mauervorsprung gelehnten Zigarettenpackungen wirken etwas gewollt, fast disneyhaft. Auch der authentische Kellerschimmelgeruch wurde etwas zu dick aufgetragen – vielleicht handelt es sich bei den ehrbaren Barbetreibern um Menschen die das, was sie historisierend nachbilden, auch nur aus Erzählungen kennen. Der Besucher fühlt sich jedenfalls mindestens 10 Jahre in irgendein WMF, vielleicht das unterm Potsdamer Platz, zurückversetzt.

Weiter geht die Reise, vorwärts in die Vergangenheit. Manch einer, der das Bad Kleinen sucht, gerät zufällig in die benachbarte Rochenbar, und erinnert sich an die Kiff- und Teestuben der frühen Jugend. Abgeschabte Sessel laden ein und der nette Hippieherr am Tresen weist den verirrten Besuchern freundlich, aber ein bisschen wehmütig den Weg zum Bad Kleinen.

Im Bad Kleinen selbst gibt es nichts, noch nicht einmal Sitzgelegenheiten. Hier wird vor Bodenunebenheiten dezent durch eine Holz-Gummi-Apparatur aus dem Sanitärbereich gewarnt. Oder ist es eine Installation? Herrlich! Diese Frage stellte sich doch früher oft in der beliebten Dienstagsbar in der Schröderstraße. Und wie oft haben kunstverständige Besucher über den Sinn der Unterhose, die über einer Lampe im Dirt hing, sinniert?

Hinter dem Dj-Tisch steht Doc Schoko. Unglaubliches legt der erfahrene Szene-Dj auf den Plattenteller: „I can't get no satisfaction“ von den Rolling Stones. Das gibt Anlass zu Befragungen: Wann hast du das Lied zum letzten Mal gehört? Bei der Snickers -Werbung, auf einer Autofahrt im Badischen, weil es da immer noch täglich auf SWR 3 läuft, von besoffenen Herthafans in der U-Bahn, kommen die Antworten wie aus der Pistole geschossen.

Zum historischen Ausgehen gehört auch immer der falsche Tip eines angeblich Informierten. Da irrt das Ausgehkollektiv dann die Brunnenstraße runter und hoch bis zum ganz uncoolen Ende, hält schließlich vor einer Fußballkneipe inne, diskutiert und beschließt, dass der Trend der unironisch-proletarischen Einrichtung so weit noch nicht gekommen sein kann, dass also die Adresse nicht stimmt. Im Hi-Fi ist es, zu guter Letzt, genauso wie früher im Ibiza: Vor der Tür drängelt es sich auch um halb vier noch, die Musik ist irgendwie modern, und es stehen die gleichen Leute rum wie früher im berlintokyo.

„Det is min Milljöh“ schmunzelt man leise in sich hinein, wenn man nach dieser historischen Ausgehnacht und dem vergnüglichen Rundgang durch die urigen Kneipen von Alt-Mitte wieder den wohlverdienten Heimweg antritt .

Bei unserer letzten Station, in Kreuzberg im Club 39, liegt man am Weitesten vorne in der Vergangenheit. 12 Jahre gibt es den Club schon, und alles ist wie immer. Die historischen Bild-Zeitungsausschnitte „Alles wird gut“ und „Mein Freund Schäuble“ hängen seit Jahr und Tag an der Wand, immer wieder lassen sich die Wirtsleute etwas Neues zur Unterhaltung der Gäste einfallen. Bis in die Morgenstunden feierte man Johnny Cashs siebzigsten Geburtstag nach: Ein versierter Cash-Dj legte Tonträger aus der langen Schaffensphase des „Manns in Schwarz“ auf, in verschiedenen Sprachen wurde aus Cash-Biographien vorgelesen. Besonders die Autobiografie sorgte für atemloses Zuhören, widmete sich der Sänger doch in einem Kapitel der immer wieder spannenden Frage, wie Drogen so wirken. Und da Johnny Cash schon alt ist und in jungen Jahren schon interessante Drogen, die heute zum Teil schon ausgestorben sind, nahm, konnte dieser historische Abend stilecht mit einem Vortrag über historisches Drogennehmen ausklingen.CHRISTIANE RÖSINGER

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