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normalzeitHELMUT HÖGE über Licht und Schatten

Die Schulen der Hausmeister

Am Anfang meiner Karriere in der taz veröffentlichte ich einmal ein Gedicht über den Vogelsberg … „Ich seh den Berg vor lauter Vögeln nicht / – Mehr Licht!“ oder so ähnlich. Im Lauf der Zeit entwickelte sich daraus eine regelrechte Glühbirnenforschung, die dann folgerichtig mit einem verantwortungsvollen Posten bei der Betriebszeitung des Berliner Glühlampenwerks Narva gekrönt wurde, die der Betriebsrat nach der Wende als taz-Beilage wiederauflegte – bis zur Abwicklung.

Jetzt hat auf dem Gelände u. a. die Firma „Pixelpark“ ihr Domizil, die ebenfalls von Abwicklung bedroht ist und wo die neue Gewerkschaft „Ver.di“ erst einmal einen Betriebsrat durchsetzen musste. – Und darauf nun sehr stolz ist! Die Pixelpark GmbH hat sich im alten Brenndauer-Testturm eingemietet, der früher immer schon von weitem sichtbar war – wegen der vielen dort oben brennenden Lampen. Zu Füßen des Turms treibt sich jetzt der erste und letzte Betriebsratsvorsitende von Narva, Michael Müller, herum.

Der gelernte Schlosser aus der Allgebrauchslampe mit Schweißer-Zusatzausbildung und Dauercamperareal in der Niederlausitz ist heute Hausmeister in der „Oberbaum-City“, wie man das Narvagelände seit der Objektsanierung nennt. Dass aus dem Angler und Wanderer ein kämpferischer Betriebsratsvorsitzender wurde, der – nachdem sein Kollektiv das „Narva-Modell“ bei der Treuhand zur Sicherung der Gehälter ihrer letzten 1.100 Kollegen auf drei Jahre durchgesetzt hatte – auch noch die ostdeutsche Betriebsräteinitiative gründete, verdankt Michael Müller dem Schriftsteller Stephan Heym.

Diesen hatte er zu Wendezeiten gebeten, im Werk eine Rede zu halten – darüber, wie die Arbeiter ihren Betrieb schützen könnten. Heyms Rede ging nicht wesentlich über Heiner Müllers Thesen zur Neugründung von Gewerkschaften hinaus, die dieser kurz zuvor auf dem Alexanderplatz vorgetragen hatte. Verfasst worden waren sie von der immer noch tagenden Gruppe Kritischer Gewerkschafter um Renate Hürtgen.

Stephan Heym sprach damals aber konkret – zur Narva-Belegschaft, der Kombinatsleitung gab er anschließend nicht einmal die Hand: um gleich mit gutem Beispiel voran zu gehen.

Die Belegschaft dankte Michael Müller seine Idee – Heym einzuladen – damit, dass sie ihn zu ihrem Sprecher wählten. Die Ausweitung der ostdeutschen Betriebsräteinitiative, die dann im Kampf um die Kaligrube von Bischofferode kulminierte, brachte wiederum Heiner Müller auf den Gedanken: „Erst seit der Vereinigung ist wieder Klassenkampf in Deutschland möglich.“ Der äußerte sich die ganze Betriebsrätezeit über auch als ein Gewerkschaftsstreit: Während der DGB der Ostinitiative half, versuchte die IG Metall sie zu zermürben. Um sie zu spalten, ließ man sogar Walter Momper eine SPD-Gegenbetriebsräteinitiative gründen, die übrigens nicht ganz schlecht war.

Aber wir erinnern uns: Gleich nach dem Bürgerkrieg (1921) mussten sich Lenin und Trotzki bereits von der „Arbeiteropposition“ vorwerfen lassen, sie wollten aus den Gewerkschaften bloß „Schulen für Hausmeister“ machen … So geschah es dann auch tatsächlich – bis zum Ende der Sowjetunion. Seitdem gründeten sich neue, wieder kämpferische Gewerkschaften. Im Haus der Demokratie war gerade eine Gruppe sibirischer Anarcho-Gewerkschafter zu Gast, die u. a. Tanssib-Streckenbesetzungen organisierte.

Während die führenden Bolschewiki die Gewerkschaften für Umfeldverbesserungen heranziehen wollten, ging es der Arbeiteropposition um die Macht in der Wirtschaft. Die sibirischen Syndikalisten sprechen denn auch von einer „Doppelherrschaft“ in den dortigen Betrieben – sie gelte es zu halten bzw. zu erhalten. Hausmeister können dagegen höchstens insgeheim Macht akkumulieren, wie wir von der Zeitung Lichtquelle, die dann Ostwind hieß, beim DGB bitter erfuhren.

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