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Eindeutig zweideutig

Washington hat nach der aktuellen Eskalation im Nahostkonflikt noch keine Stellung bezogen

von BERND PICKERT

Welche Rolle spielen die USA in der momentanen Krise? Die Einschätzungen schwanken zwischen einseitiger Unterstützung des israelischen Premierministers Ariel Scharon und schlichtem Desinteresse. Nur eins glaubt niemand: Dass die US-Regierung bei der Suche nach einer friedlichen Lösung der Krise derzeit eine aktive, wichtige Rolle spielt. Und das heißt: Ausgerechnet der in beiden Lagern einflussreichste Akteur tut nichts, um der Eskalation Einhalt zu gebieten. US-Präsident George W. Bush bestätigte diese Haltung am Montag in seiner wie üblich einfachen Art vor US-Journalisten. Zwar wolle er Palästinenserpräsident Jassir Arafat nicht unter die im Rahmen des US-amerikanischen Anti-Terror-Plans aufgestellte Doktrin fassen, wer Terroristen fördere oder beherberge, müsse wie ein Terrorist behandelt werden – schließlich habe Arafat einst einem Friedensplan zugestimmt, den Mitchell- und den Tenet-Plan begrüßt.

Im Übrigen aber, sagte Bush weiter, verstehe er, dass Israel ein Interesse und Anrecht darauf habe, sich selbst zu verteidigen – wenngleich Scharon darauf achten solle, einen Ausweg für eine friedliche Lösung offen zu lassen. Den Vorwurf, selbst nicht aktiv genug zu werden, wies Bush zurück: Immerhin habe er am Sonntag mehrere Telefongespräche mit Staats- und Regierungschefs geführt.

Bushs Verteidigungsminister Donald Rumsfeld wurde da schon deutlicher. Er verglich die Situation Israels mit der der USA: „Wenn die USA von einem terroristischen Angriff getroffen werden, hat man die Wahl: Man kann entweder sagen „Gott, wie furchtbar“ oder versuchen, die Terroristen zu finden und etwas zu unternehmen. Mir scheint, dass in unserem Fall – den ich ungleich besser kenne als den anderen – die Antwort klar ist.“

Diese Botschaft scheint in Israel klar angekommen sein.

Zwar heißt es aus dem State Department, Außenminister Colin Powell habe Scharon in Telefongesprächen dringend gemahnt, die Konsequenzen seines Tuns zu bedenken. Aber die konstante Weigerung Powells, selbst in die Region zu reisen, und die Tatsache, dass selbst die verhalten diskutierten Optionen, weitere Friedensmittler in den Nahen Osten zu schicken, sofort verworfen wurden, machen deutlich, dass die Bush-Regierung zu einem stärkeren Engagement derzeit nicht bereit ist.

In den USA selbst jedoch regt sich Widerspruch zur Haltung des Weißen Hauses. „Der Präsident muss sich stärker einmischen“, erklärte der demokratische Senator Joseph Lieberman. Der frühere Sicherheitsberater Samuel Berger bezeichnete die Nahostpolitik Bushs als „außerordentlich armselig“.

Sicher ist, dass die Haltung der US-Regierung mit ihren Angriffsplänen auf den Irak zusammenhängt. Unklar ist, wie dieser Zusammenhang zu bewerten ist. Die Bush-Regierung kann kein Interesse daran haben, den verbündeten arabischen Regierungen innenpolitisch das Wasser abzugraben. Doch genau diese Gefahr hat sich durch die Demonstrationen am vergangenen Wochenende gezeigt. Zwar gilt derzeit noch, dass sich zwar Presse, Öffentlichkeit und Politikerrhetorik in den arabischen Ländern relativ einig in der Ablehnung der israelischen Politik sind, ohne dass das für die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen dieser Ländern irgendwelche Konsequenzen hätte. Doch es könnte sich als Fehler erweisen, wenn die Bush-Regierung davon ausginge, dass das auch bei weiterer Eskalation, gar einer Tötung oder Exilierung Arafats, immer so bliebe.

Bleibt die andere Interpretationsmöglichkeit: Die US-Regierung lässt bewusst zu, dass sich die Situation weiter verschärft, bis beide Seiten so unter Druck stehen, dass eine neue US-Vermittlung, womöglich gepaart mit militärischem Engagement als Peace Keeper, herbeigesehnt und von fast sicherem Erfolg gekrönt wäre – mit Strahlkraft in die ganze Region. Nur wäre das nicht nur ein makabres Spiel mit dem Leben der Menschen in Israel und Palästina. Es könnte, darüber hinaus, auch schiefgehen.

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