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Gehört so was ins Museum?

■ Das Gerhard-Marcks-Haus präsentiert ab nächstem Wochenende die Ausstellung „Die Pop Art und die zeit-genössische Bildhauerkunst“. Die Ausstellung zeigt, wie die Bildhauerei von damals die Bildhauerei von heute prägt

Gerhard Marcks selbst fand's schrecklich. Gerade war er zurück von einer Reise nach Südafrika, hatte sich inspirieren lassen an der Wiege der Menschheit – da fingen sie auf einmal alle an, durchzudrehen. Leute, die nie an einer Kunstakademie waren, bezeichneten sich als Künstler. Organisierten auf eigene Faust Ausstellungen mit reißerischen Titeln, 1956 zum Beispiel „This is Tomorrow“ in London. Und fanden Kritiker, die das alles erstens ernst nahmen und zweitens behaupteten, dass die Oberschicht ihre Definitionsmacht über Kunst und Kultur verloren hätte. Zugunsten der Masse. Im Namen des Pop.

Supermarktartikel, Zeitungsschnipsel, Starfotographie, Pin-Ups, Comics, sogar Schrott – all das soll auf einmal Kunst sein. Hauptsache es ist bunt, sexy, witzig und aus dem Leben gegriffen. Die Pop Art erhebt das alltägliche öffentliche Leben zur Kunst. Und das öffentliche Leben boomt: Massenmedien, Konsum, eine explodierende Warenwelt, kurze Röcke und neue Stars. Die Pop-Art-Künstler sind fasziniert. Ihr Museum ist der Supermarkt, ihr Fetisch ist die Ware.

Das wirklich Gemeine aber sind ihre Übergriffe auf die Hochkultur: Die Künstler adeln nicht nur den Alltag, sie verpoppen auch die klassische Tradition. Bildhauer Jim Dine etwa, der eine antike Figur aus Bronze gießt und dann bunt anmalt. Oder Robert Indiana, der gar nicht mehr mit Bronze, sondern mit Holz arbeitet – und das trotzdem für Bildhauerkunst hält.

So etwas wäre dem traditionell orientierten Bronze-Künstler Gerhard Marcks nie eingefallen. Kann die Darstellung eines Filmstars Kunst sein? Und ist eine Plastik aus Polyester noch Bildhauerei? Gehört sowas ins Museum?

Für Gerhard Marcks eine äußerst heikle Frage. Für Jürgen Fitschen, Leiter des Gerhard-Marcks-Haus-es, ein klarer Fall. Ab dem 28. April zeigt sein Haus die Ausstellung „Die Pop Art und die zeitgenössische Bildhauerkunst“.

Acht Plastiken von Altmeistern sind zu sehen neben zwölf Werken von Zeitgenossen. Die Pop-Art-Objekte stammen von Stars wie Ed Kienholz, Nicholas Monro oder Jim Dine. Demgegenüber stehen zeitgenössische Arbeiten von Thomas Schütte, Katharina Fritsch, Stephan Balkenhol und Jessica Stockholder. Alle vier sind geboren zwischen 1954 und 1959, also in den Anfangsjahren der Pop Art. Fitschen: „Wir präsentieren damit Künstler, die genau der Generation nach der Pop Art angehören.“

Wobei entscheidend ist, dass die zeitgenössischen BildhauerInnen nichts zu tun haben mit Neo-Pop-Art, sie beziehen sich nicht auf die Altvorderen, liefern keine Zitate, wollen nichts auferstehen lassen. Trotzdem gibt es Parallelen: Wie in der Pop-Art spielt bei den Zeitgenossen Realismus eine große Rolle. Die verwendeten Materialien gehören nicht zum Kanon der Materialien der traditionellen Bildhauerei. Es wird mit Farbe gearbeitet. Und es wird erzählt und ironisiert, die Bildhauerei der Zeitgenossen ist keine abstrakte Kunst, sondern Kunst, die etwas zeigen möchte.

Um diese Parallelen geht es Austellungsmacher Fitschen: „Wir wollen deutlich machen, wie die Farbe, die Materialien und der Witz in die Bildhauerei gekommen sind.“ Seine These: „Die Pop Art ist in der Malerei nicht von Dauer geblieben, aber in der Bildhauerei. Nur in der Bildhauerei haben sich die Pop-Art-Neuerungen dauerhaft etabliert.“ Eine Beobachtung, die der Rezeption der Pop Art zuwider läuft: „Im Allgemeinen wird die Pop Art vor allem mit Malerei verbunden. Aber die Malerei ist in den 70er und 80er Jahren wieder zu den Zeiten vor der Pop Art zurückgekehrt. Im Gegensatz zur Bildhauerei.“

Bei den zeitgenössischen Künstlern hat Fitschen darauf geachtet, „alle repräsentativen Positionen“ des gegenwärtigen Kunstbetriebs zu besetzen, und zwar mit Arbeiten, die nicht schon in anderen Museen zu sehen waren. Von Katharina Fritsch wird die Ausstellung einen Totenschädel und eine überdimensionale Fliege aus Plastik präsentieren, veristische Arbeiten, die laut Fitschen zu verstehen sind als „Symbole der Sterblichkeit und Vergänglichkeit, ein modernes Momento Mori.“

Sehr lebendig sind dagegen Thomas Schüttes „United Enemies“: Angeregt von einem politischen Skandal hat Schütte bunte Figuren aus Fimo-Knetstoff geformt. Fitsch: „Die zielen auf das große Welttheater.“ Stephan Balkenhol, übrigens Träger des Bremer Kunstpreises 1989, schält figürliche Skulpturen aus Holz und erreicht damit eine unprätentiöse, sinnliche Darstellung archetypischer Gestalten. Kein plakativer Pop, der in's Auge sticht – aber Holzbilderhauerei in Farbe.

Parallel zur Ausstellung plant das Kino 46 Filme zum Thema, außerdem wird das Gerhard-Marcks-Haus seine Aktion „Hallo Nachbar!“ starten: Gegliedert nach Straßenzügen wird die Nachbarschaft zu einem Glas Sekt und einer Führung eingeladen. Jürgen Fitschen möchte damit „versuchen, den Hochkultur-Charakter der Kulturmeile aufzubrechen.“ Klar – was sonst könnte eine Pop-Art-Ausstellung wollen.

Klaus Irler

Die Ausstellung „Die Pop Art und die zeitgenössische Kunst“ im Gerhard-Marcks-Haus eröffnet am 28. April und läuft bis 21. Juli. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10-18 Uhr

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