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Altes Land wird zur Verkehrsinsel

Mit seinen neuen Plänen für drei weitere Straßen für Airbus zerschneidet Schwarz-Schill Hamburgs wichtigstes Naherholungsgebiet – auf Kosten der Natur an der Alten Süderelbe und der Menschen in Neuenfelde

von Gernot Knödler

Thomas Geiger kann auf die Idylle verzichten. An einem sonnigen Tag der Arbeit sitzt er am Ufer der Alten Süderelbe, zwei Angeln im Wasser, einen Werkzeugkoffer mit bunten Ködern neben sich. Vom anderen Fluss-ufer, jenseits der Westerweiden grüßt eine neue Werkshalle von Airbus, hinter ihm schieben zwei junge Frauen einen Kinderwagen durch die blühenden Obstbäume und hoch am Himmel kreisen zwei Störche. Einmal die Woche kommt Geiger aus Neuenfelde hierher, um in dem Alt-Arm Hechte, Karpfen, Zander, Schleie und Quappen zu fangen. Geht es nach den Plänen des Senats, werden in vier Jahren wenige Meter hinter ihm die Laster zum Airbus-Werk donnern. Doch Geiger lässt das kalt: „Wenn die Straße hier durch muss, muss das wohl sein“, sagt er achselzuckend. Einen Grund, sich einen neuen Angelplatz zu suchen, sieht er darin erst mal nicht.

Obstbauern und Umweltschützer reagieren auf die Entscheidung des Senats, innerhalb von zehn Jahren drei neue Straßen durch das Alte Land zu bauen, weniger gelassen. „Für uns ist das der Einstieg in den Ausstieg aus dem Alten Land in Hamburg“, sagt Nabu-Geschäftsführer Stephan Zirpel. Wenn der Obstbau im Gegenzug nicht gestärkt werde, „muss man davon ausgehen, dass die Dritte Meile des Alten Landes nicht mehr lange bestehen wird“, sagt Ulrich Harms vom Gartenbauverband. Gabi Quast vom Verein zum Schutz von Hamburgs Elbregion bringt es auf den Punkt: „Das Alte Land sieht schwarz.“

Keiner von ihnen traut den vagen Ankündigungen des Senats, er wolle versuchen, das Alte Land zum Kulturerbe der Menschheit erklären zu lassen. Zu heftig wird das Gebiet durch die neuen Straßen und die geplante Werkspistenverlängerung verändert. Die Dritte Meile werde von den neuen Straßen regelrecht „eingekesselt“, sagt Zirpel: Die geplante Fluchttrasse und die existierende A7 liegen zehn Kilometer, die Ortsumgehung und die A26 im östlichen Teil maximal zwei Kilometer auseinander. Neuenfelde würde zur Verkehrsinsel.

„Wenn alle Straßen gebaut sind, ist das Alte Land weiter von den Voraussetzungen für ein Weltkulturerbe entfernt denn je“, ergänzt sein BUND-Kollege Manfred Braasch. Die Autobahn zum Beispiel wird entweder mitten durchs Obstbaugebiet führen, womöglich quer durch den Hof, den Familie Harms seit 1780 bewirtschaftet; oder sie verläuft direkt am Moorgürtel, wo sie den Wachtelkönig vertreiben und die schönste Fahrradstrecke durch diesen Teil des Alten Landes zerstören würde.

Die Flächenzerschneidung verringert die für den Obstbau zur Verfügung stehende Fläche und sie macht deren Bearbeitung weniger wirtschaftlich. Sie ermöglicht die Erschließung neuer Gewerbegebiete mit Autobahnanschluss. Die entsprechende Formulierung in der Mitteilung des Senats hält Obstbauer Harms denn auch für eine Freud‘sche Fehlleistung, mit der dieser, ohne es beabsichtigt zu haben, seine Pläne verrät. Dass Beauftragte des Senats durch Neuenfelde schleichen, um im Zuge der Flächenbevorratung Häuser und Grundstücke aufzukaufen, verringert dieses Misstrauen nicht. Schwarz sind die Aussichten auch für Tiere und Pflanzen. Die Ortsumgehung zum Beispiel wird die Alte Süder-elbe von den angrenzenden Obstgärten und Brachflächen abschneiden. „Da kommt kein Käfer mehr lebendig rüber“, sagt Paul Schmid vom BUND – geschweige denn ein Seefrosch, der in großer Zahl auf dem Mühlensand lebt.

Trotz einer geplanten Lärmschutzwand würden die Rotschenkel, Uferschnepfen und Säbelschnäbler auf der Alten Süderelbe und den Westerweiden gestört, wie der Biologe Ulrich Mierwald in einem Gutachten zu den Trassenvarianten ausgeführt hat. Der Lärm der Laster würde den Balzgesang der Vögel übertönen und das Zirpen der Heuschrecken überdecken.

Angler Geiger säße also mit dem Rücken zu einer Lärmschutzwand. Dafür wäre der Kurierfahrer morgens schneller bei der Arbeit und in Neuenfelde, so hofft er, wäre endlich mehr los. Denn an die Flugzeugpiste, glaubt er, würde man sich gewöhnen. Bleibt die Frage, wie die Fische beißen. Gestern sind sie von spielenden Jungs vertrieben worden. Geiger musste unverrichteter Dinge einpacken.

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