: „Eugenische Selektion“
Monika Knoche, grüne Bundestagsabgeordnete und Mitglied in der Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, fordert eine Klärung des Status von Reagenzglas-Embryonen
Interview WOLFGANG LÖHR
taz: Frau Knoche, Sie haben zu mehreren Bereichen des Enquete-Berichts ein Sondervotum abgegeben, unter anderem zur Präimplantationsdiagnostik (PID). Warum reicht Ihnen das von der Kommissionsmehrheit ausgesprochene ablehnende Votum für PID nicht aus?
Monika Knoche: Die Diskussion in der Enquetekommission hat deutlich gezeigt, dass wir bei der weiteren Befassung mit dieser neuen Interventions- und Manipulationsmöglichkeit nicht umhinkommen, rechtsphilosophische und verfassungsrechtliche Grundfragen zu klären. Die Enquetekommission hat sich sehr bemüht, eine Antwort auf die Frage zu finden, welchen Status hat ein Embryo in vitro, ein Reagenzglas-Embryo, überhaupt. Sie hat aber auch ihre Grenzen erreicht.
In dem Mehrheitsvotum wird aber doch die PID mit Bezug auf die im Grundgesetz garantierte Menschenwürde abgelehnt?
In der Verfassungsrechtslehre gibt es bislang zum Leiblichkeitskonzept der Menschenwürde wenig. In der Rechtsprechung lediglich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Schwangerschaftsabbruch. Dieses befasst sich aber nur mit der Strafbarkeit eines Schwangerschaftsabbruches und der personalen und körperlichen Integrität einer schwangeren Frau.
Mit meiner Argumentation weise ich auf die menschenrechtsdogmatische Neuheit der Erzeugung im Gegensatz zur Zeugung hin, was auch heißt, dass man nicht in Analogie zum Verfassungsgericht-Urteil zum Paragrafen 218 allein schon eine Statusbeschreibung eines Embryos in vitro hat.
Das heißt, das Gericht befasste sich nur mit den bereits eingenisteten Embryonen?
Das ist richtig. Eine Schwangerschaft beginnt naturgemäß erst mit der Nidation, das heißt mit der Einnistung des Embryos in den Uterus. Die Entwicklung des Embryos vor der Nidation sind genau die 14 Tage, die bislang der Embryo in vitro als gesellschaftliche Existenz hat. Es entscheiden Dritte, ob er Teil der Frau wird oder nicht. Von daher gibt es im BVerfG-Urteil nur die Aussage, dass das menschliche Leben mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle beginnt. Das reicht meines Erachtens nicht aus, um daraus eine prinzipielle Unverfügbarkeit des Embry in vitro zwingend abzuleiten.
Dann bleibt als Barriere für die PID noch das Embryonenschutzgesetz.
Auch das Embryonenschutzgesetz gibt keine eindeutige Aussage über den rechtlichen Status des Embryos. Es gab unter anderem auch im Parlament den Vorschlag, dass der prinzipielle Lebensschutz ähnlich wie im angelsächsischen Raum erst mit der Nidation beginnt, also eine Gebärmuttergebundenheit erst die Menschenwürde konstituiert. Das wäre eine Abkehr vom ganzheitlichen Menschenbild der Verfassung und es bliebe der gesamte Grundrechtsbereich, der erst durch die künstliche Befruchtung aufgekommen ist, rechtslogisch inkonsistent.
Schäuble hat zum Beispiel diese Meinung vertreten. Halten Sie es für vorstellbar, dass sich eine Mehrheit im Parlament dieser Auffassung anschließen könnte?
Das halte ich in Deutschland vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtsauffassung und Rechtslehre nicht für möglich. Das wäre dann eine biologistische Menschenrechtsdogmatik, die die Subjekthaftigkeit des Embryos vom Grad der Entwicklung und vom Umgebungsort abhängig machen würde. Das würde ja heißen: wird eine Frau durch Sexualität schwanger, gilt der Grundrechtskonflikt und das volle Strafrecht §218. Unterzieht sich eine Frau einer In-vitro-Fertilisation (IVF) dann hätte sie ohne Grundrechtskonflikt ein Bestimmungsrecht über den Embryo. Oder sie würde den Behandlungsauftrag des Arztes, den er mit ihr hat, um sie in den Zustand der Schwangerschaft zu versetzen, insofern erweitern, dass er den Embryo nach ihren Kriterien zu diagnostizieren und bei Nichterfüllung ihrer Kriterien zu verwerfen hat. Das würde den Behandlungsauftrag völlig verändern und es müsste ein Indikationskatalog für eugenische Selektion in vitro etabliert werden. Das halte ich vor dem Hintergrund des BVerfG-Urteils, das sich ausdrücklich gegen eine embryopathische Indikation und eugenische Selektion ausgesprochen hat, für nicht denkbar. Die IVF als neue Form der reproduktiven Autonomie zu verstehen, bedeutete, konsequent die Sexualität von der Fortpflanzung zu trennen. Eine Abart der Emanzipation.
Ist nicht schon mit der Importerlaubnis für embryonale Stammzellen eine Tür für die Aushöhlung des Embryonenschutzes aufgestoßen worden?
Ja, damit ist das universelle Menschenwürdekonzept unterlaufen worden. Wenn wir das bei der PID, egal ob mit oder ohne Indikationskatalog, auch tun, dann ist man praktisch schon im angelsächsischen Menschenrechtsverständnis und hat keine Barrieren mehr für all das, was ja bereits schon in der europäischen Bioethikkonvention positiv beschreiben ist, beispielsweise das therapeutische Klonen oder die fremdnützige Forschung.
Geplant ist, dass im nächsten Jahr über das Embryonenschutzgesetz debattiert wird. Befürchten Sie, dass es dann Lockerungen geben wird?
Egal wer die Regierung bildet, ja. Schon unter Rot-Grün war die damalige Bundesministerin für Gesundheit die vehementeste Gegnerin der Einsetzung dieser Enquete. Und wenn man genau hinschaut, wie viele bei der PID schwankten und sich auch noch sehr deutlich für den Stammzellimport aussprachen, dann lässt sich schon ein Szenario entwerfen, wie künftige „Kompromisse“ im Grundrecht aussehen. Die Zahl derer, die forschungsfreundlichere Regelungen wollen, nimmt zu. Die Widerstände und die Qualität der Befassung in der 14. Legislatur werden voraussichtlich einmalig gewesen sein. Ein Blick auf die Listenaufstellung der Parteien genügt.
Welche kritischen Stimmen im nächsten Jahr noch im Bundestag verteten sind, wird sich erst nach der Wahl rausstellen.
Das stimmt. Jedoch sind mit der „Delegitimierung“ des Parlaments durch den Nationalen Ethikrat, wogegen die Grünen ein Veto hätten einlegen können, und in der jetzigen faktischen „Federführung“ durch das Forschungsministerium unmissverständlich die Weichen bereits gestellt worden.
Glauben Sie, die Diskussion um Biopatente, Stammzellimport und PID wäre anders verlaufen, wenn es die Enquete nicht gegeben hätte?
Mit Sicherheit. Die Enquete war sehr erfolgreich. Die Biopatentierungsrichtlinie wurde nicht umgesetzt, die PID noch verhindert, der Import embryonaler Stammzellen restriktiv geregelt und in der Europäischen Grundrechtscharta im Artikel 1 für die unantastbare Menschenwürde votiert. Die EU-Bioethikkonvention wurde nicht ratifiziert. Gemessen daran, dass der Bundeskanzler im präsidialen Stil ein Konkurrenzgremium installieren konnte, war die Enquete ein parlamentarischer Selbstbehauptungsakt.
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