: „Dass das noch rauskommt“
Zeugenaussage im NS-Kriegsverbrecherprozess gegen Friedrich Engel: Ein Mitglied des Erschießungskommandos erinnert sich nicht mehr so genau an die Tat vor 58 Jahren
Die Geschehnisse am Turchino Pass sind verdrängt. Nur widerwillig erinnerte sich gestern der als Zeuge im NS-Kriegsverbrecherprozess am Landgericht gegen Friedrich Engel geladene Karl-Heinz Günther an die Erschießung von 59 italienischen Gefangen am 19. Mai 1944. „Dass das noch alles rauskommt“, ärgert den ehemaligen Marinesoldaten: „Wenn ich das geahnt hätte, wäre ich abgehauen.“ Erst nachdem Richter Rolf Seedorf dem 80-jährigen Rentner aus Lauenburg Verständnis wegen der Last der Erinnerung entgegenbringt, berichtet das Mitglied des Erschießungskommandos zögerlich von der Tat.
Als „einfacher Soldat“ des Marinestabs in Rapallo wäre er mit seiner Einheit per Bus nachts nach Genua gefahren, wo sie die Inhaftierten aus dem Marassi-Gefängnis aufnahmen. Weder den Ort noch ihre Aufgabe hätte man ihnen mitgeteilt. Sie fuhren zu einem Platz, wo bereits eine Grube ausgehoben war. „Die Fesseln wurden den Gefangen abgenommen“ erzählt Günther, und sie „jeweils zu fünft Angesicht zu Angesicht erschossen“. Er selbst habe „aber nicht geschossen“, beteuert er. Nur „einmal“ und daneben, weil er einen Sehfehler hätte. Er habe die Gefangenen bewacht. Zur Erleichterung des Angeklagten wusste der Zeuge nicht, wer die „Befehlsgewalt“ hatte. Als Verteidiger Udo Kneip nachfragte, ob er doch geschossen hätte, wetterte Günther: „Jetzt habe ich die Schnauze voll. Ich sag nichts mehr.“
Ganz Offizier blieb indes der zweite Zeuge, der frühere Flottillenkommandant Otto Reinhard. Nach der „Racheaktion“ wäre er als Marinechef nach Rapallo befohlen worden. Den für die Aktionen verantwortlichen Flottilleningenieur Walter Vogt habe er zurückbefohlen: „Die Marine schießt nicht auf wehrlose Menschen“, begründete der Rentner aus Stuttgart die Entscheidung. Von einem schriftlichen Befehl oder einem Drängen der Marine, die Racheaktion gegen „Partisanen“ selbst durchzuführen, wie Engel erklärte, weil „ihre Kameraden“ bei dem Anschlag am 15. Mai 1944 getötet wurden, wusste er nichts.
Am Dienstag vernimmt das Gericht weitere Zeugen zur „Befehlslage“. ANDREAS SPEIT
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