: Grüne tragen die alte FDP zu Grabe
Macht Kritik die Populisten erst recht populär? Die rot-grünen Regierungsparteien wollen die Liberalen gerne angreifen, sind sich aber über die Form nicht einig. Die Grünen legen los: Sie unterscheiden nicht länger zwischen Möllemann und Westerwelle
aus Berlin ULRIKE HERRMANNund JENS KÖNIG
Wie geht man mit einem Tabubrecher um, der kein Tabubrecher ist, der aber durch ständiges Wiederholen, er sei ein Tabubrecher, in Teilen der Gesellschaft dann tatsächlich auch als Tabubrecher gesehen wird? Die Frage klingt schon kompliziert – und sie ist es auch. Die SPD und die Grünen beschäftigt diese Frage denn auch mehr, als sie öffentlich zugeben wollen. Kritik an FDP-Chef Guido Westerwelle und seinem Stellvertreter Jürgen Möllemann wegen deren antisemitischer Ausfälle – das ist gar keine Frage. Aber darf der Konflikt mit ihnen so hart sein, dass er die Populisten erst recht populär macht? Soll man Westerwelle in gleicher Weise angreifen wie Möllemann oder nicht lieber versuchen, den moderateren Parteichef gegen den eiskalt berechnenden Fallschirmspringer in Stellung zu bringen?
Die Grünen haben sich jetzt entschieden – für die FDP gibt es kein Pardon mehr, weder mit Westerwelle noch mit Möllemann. Die SPD hat sich auch entschieden – und sich vorerst nicht entschieden.
Joschka Fischer selbst verkündete gestern, welche Einsichten seine Partei am zurückliegenden Wochenende gewonnen hat: Die FDP habe sich vom Liberalismus verabschiedet, sagte der grüne Übervater. Es sei ein „Wochenende der Offenbarung“ gewesen. Anlass für diese unmissverständliche Abrechnung war zum einen eine Kolumne von Möllemann ausgerechnet im staubtrocken sozialistischen Neuen Deutschland. Dort ließ er sich aus über Haider, Le Pen und Fortuyn, den Zwang für die politische Klasse, sich „an Haupt und Gliedern zu erneuern“, und die Erfolge von Rechtspopulisten als „Emanzipation der Demokraten“. Zum anderen empörte ein Interview von Westerwelle die Grünen. Dort erklärte er – übrigens nicht zum ersten Mal –, dass die FDP auch Wähler der PDS und der „Republikaner“ gewinnen wolle.
„Die Katze ist aus dem Sack“, sagte Fischer. Alle diejenigen, die vor einer Haiderisierung der FDP gewarnt haben, hätten Recht behalten. Die Grünen machten an diesem Montag zum ersten Mal keinen Unterschied mehr zwischen Westerwelle und Möllemann. Fischer erinnerte an die österreichische Freiheitliche Partei und deren Spiel über Bande mit einem stürmischen Chef Jörg Haider und einer beschwichtigenden Stellvertreterin Susanne Riess-Passer. „Die Rollenverteilung in der FDP scheint klar“, so Fischer, „Möllemann ist der Antreiber in Richtung Haider, Westerwelle gibt den Part von Riess-Passer.“
Die SPD ist da vorsichtiger, und das liegt nicht zuletzt daran, dass sie die Hoffnung auf eine geläuterte FDP als potenziellen Koalitionspartner nicht aufgeben möchte. Natürlich gilt nach wie vor die Einschätzung von Parteichef Gerhard Schröder, die FDP sei „vielleicht willig zu regieren, aber nicht fähig“. Natürlich halten die Sozialdemokraten das Kalkulieren mit rechtspopulistischen Strömungen für politisch hoch brisant und hochgradig gefährlich. Aber in ihren aktuellen Äußerungen setzen die Sozialdemokraten auffällig auf eine Klärung des Kurses und des Kräfteverhältnisses in der FDP. „Ich habe immer noch die Hoffnung, dass die Partei erkennt, dass sie auf einem falschen Weg ist“, sagte der Kanzler gestern. Und SPD-Generalsekretär Franz Müntefering gab zum wiederholten Male zu, dass sich die SPD über die Rolle Westerwelles nicht ganz klar ist. „Ist er ein Getriebener, der Möllemann nur nicht stoppen kann“, fragte Müntefering, „oder treibt er mit Möllemann ein abgekartetes Spiel?“ Viel Zeit, das zu klären, so der SPD-General, habe die FDP aber nicht mehr.
In diesem Punkt sind sich SPD und Union einig – was nicht überraschen kann, weil auch CDU/CSU den potenziellen Koalitionspartner FDP nicht abschreiben möchten. Die CDU kam gestern zwar nicht umhin, die möglichen Entwicklungen bei den Liberalen zu kommentieren, aber sie reduzierte das Problem auf die Person Möllemann. Parteichefin Angela Merkel warf ihm vor, den Eindruck zu erzeugen, in Deutschland würde eine rechtspopulistische Partei benötigt. Westerwelle hingegen wurde mit keinem kritischen Wort bedacht. Ihn traf nur die Aufforderung, „Klarheit über den Kurs der Liberalen zu schaffen“ und – noch wichtiger – „mit dem Zentralrat der Juden wieder zu einem vernünftigen Verhältnis zu kommen“.
Erkennbar sorgt sich die Union, dass sie allzu schnell vor einer hässlichen Frage stehen könnte: ob sie tatsächlich noch mit den Liberalen koalieren kann, wenn der Preis für ein Regierungsbündnis darin besteht, die jüdische Minderheit zu verprellen und die eigene christlich-moralische Glaubwürdigkeit zu opfern.
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