das große jürgenwürgen von WIGLAF DROSTE:
Für was steht eigentlich das W. in Jürgen W. Möllemann? Für Windhund? Wanderpokal? Wandalismus? Wrisör? Wirtschaftsminister a. D.? Oder doch für Walser?
Vor knapp zehn Jahren hatte der ehemalige Hauptschullehrer Möllemann einen Skandal, der ihm gut zu Schnauzgesicht stand: Vetternwirtschaft lautete der Anwurf. Möllemann hatte einen veritablen Vetter begünstigt, der noch dazu – Spitzenwort – angeheiratet war. Dessen Erfindung, einen Markstückersatzchip aus Plastik für Einkaufswagen, hatte Möllemann als „pfiffig“ gepriesen, und dann ließ er sich noch einen Karibikurlaub spendieren, auch das ein großes Wort, Karibikurlaub: Man sieht die fröhlich depperte Bacardi-Clique duhn und butt den Strand entlangwanken, sinnlos in Bambusstöcke hineinpustend, Luftgitarre und Luftperkussion spielend, und Jürgen Würgen Möllemann latscht vorneweg. Angemessen schäbig war das, eine abgeschmackte Affäre um Kleingeld und Kleinbürgerabgreifträume. Ganz authentisch erschien Möllemann da, und als er aus dem Amt stolperte, da tat er sich sehr Leid und fühlte sich als verfolgte Unschuld.
Diese kerndeutsche Lieblingsrolle hat er erneut besetzt. „Ich bin auch nur ein Mensch“, jammerte Möllemann, er sei „aus der Haut gefahren“, das sei seine „Ehre“ ihm „wert“ und so weiter. Möllemann bleibt im Stereotyp: Ein Deutscher ist von einem Juden provoziert worden und muss sich wehren, wegen seiner „Ehre“ – Soldatenehre wäre noch ein bisschen schöner gewesen. Möllemanns Selbstinszenierung als mutiger Mann, der endlich einmal öffentlich ausspricht, was viele nur privat grummeln, wird ihm keinen nachhaltigen Schaden zufügen. Im Gegenteil: Es gehört zum Wesen des Populismus, dass er jede Kritik, und sei sie noch so glasklar und berechtigt, zur Bestätigung der eigenen Position hernimmt und zum tragenden Pfeiler des fest geschlossenen Weltbildes macht. Alle grünen Wahlkämpfer, die sich mit Gratis-Anti-Antisemitismus in die Brust warfen, werden sich als Möllemanns billige Helfer erweisen.
Einer allerdings kann Möllemann die Tour noch vermasseln und ihn rechts überholen: Martin Walser. Einer der überschätztesten deutschen Schriftsteller hat in einem Roman mit einem der überschätztesten deutschen Literaturkritiker abgerechnet. Walser versus Reich-Ranicki: Zwei Dauerlautsprecher drehen alle Regler nach rechts. Das ist so langweilig wie der deutsche Literaturbetrieb, der auch deshalb ist, wie er ist, weil diese beiden alten Ranzlappen darin herumwurschteln. Den FAZ-Strippenzieher Frank Schirrmacher haben Walsers deutschnationale Volksreden bislang ebenso wenig gestört wie sein wirrsinghafter Stil. Nun aber malt Schirrmacher sich selbst als Bollwerk gegen was auch immer in seine Zeitung hinein, der Suhrkamp Verlag ist kritisch entzückt über die PR und schlägt den neuen Walser zwei Monate früher los. Das Weihnachtsgeschäft beginnt in diesem Jahr besonders früh; heuer spielen mutige Antisemiten und ihre mindestens ebenso mutigen Gegner einander den Ball zu. Der Kulturbetrieb sollte Jürgen heißen.
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