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„Schwer erträgliche Bilder“

Wie sieht heute der Alltag in unseren Schlachthöfen aus? Ein Gespräch mit der Tierärztin Karin von Holleben über das schwierige Handwerk des Tötens

von MANFRED KRIENER

taz: Frau von Holleben, wie wird im westlichen Europa ein Rind geschlachtet?

Karin von Holleben: Das Rind wird zunächst in die Tötebox getrieben. Das sollte möglichst ohne Hektik geschehen. Der Kopf des Tieres wird in eine ruhige Position gebracht und der Bolzenschussapparat gezielt auf die Stirn gesetzt. Nach dem Betäubungsschuss fällt das Rind in sich zusammen und wird aus der Tötebox „ausgeworfen“. Anschließend wird es in einer Schlinge an einem Bein aufgehängt, bevor der Bruststich das Tier tötet. Dabei werden die großen, den Kopf versorgenden Blutgefäße herznah durchtrennt, das Tier blutet aus. Zwischen Bolzenschuss und dem Stechen dürfen höchstens sechzig Sekunden vergehen.

Bis zum Jahresende 2000 hat man nach dem Schießen den „Rückenmarkzerstörer“ eingesetzt, der in den Schusskanal im Kopf vorgeschoben wurde. Warum wird jetzt darauf verzichtet?

Der Rückenmarkzerstörer hat die Nervenstränge im Rückenmark zerstört und dafür gesorgt, dass das Rind hirntot ist, auch wenn das Herz noch einige Male schlägt. Dabei kann aber Risikomaterial aus dem Hirn im Tierkörper verteilt werden. Um jedes Risiko zu vermeiden, wurde dieses Instrument verboten.

Genügt der Bolzenschuss, um das Rind zuverlässig zu betäuben?

Wenn der Schussapparat korrekt geführt wird, wenn gezielt geschossen und die richtige Munition verwendet wird, wenn der Apparat regelmäßig gewartet wird, dann ist das Tier nach dem Schuss empfindungs- und wahrnehmungslos, bis es gestochen wird.

Muss man die Schlachthöfe besser kontrollieren, um die nötige Sorgfalt sicherzustellen?

Bisher sind Fehler beim Schießen meist nicht aufgefallen, weil ja noch der Rückenmarkzerstörer eingesetzt wurde. Jetzt müssten die Veterinäre eigentlich schärfer kontrollieren, um Nachlässigkeiten zu korrigieren.

Wie engmaschig laufen die Kontrollen?

In den großen Schlachthöfen sind eigentlich immer Veterinäre anwesend, die eine ordnungsgemäße Betäubung sicherstellen müssen. Leider wird der Arbeitsschritt der Betäubung häufig nicht mit der erforderlichen Sorgfalt kontrolliert, und es fehlt oft an Fachwissen. Zusätzliche Kontrollen übergeordneter Behörden von außen gibt es nur einmal im Monat, manchmal auch nur einmal im Vierteljahr.

Jeder hat die Fernsehbilder über die Schlampereien in den Schlachthöfen gesehen: Einzelne Bullen, die schlecht betäubt waren, hingen in der Schlinge, sie brüllten, strampelten und blickten panisch um sich, bis sie bei vollem Bewusstsein gestochen wurden. Gehört das zum Alltag im Schlachthof?

Das waren tatsächlich schwer erträgliche Bilder. Derart tierschutzwidrige Schlachtungen sind sicher Einzelfälle. Fehlbetäubte Tiere müssen sofort nachgeschossen werden. Wenn Fehlbetäubungen unerkannt bleiben, ist das Personal unfähig. Man darf das nicht herunterspielen. Wir haben bei unseren regelmäßigen Besuchen im Schlachthof solche Fehlbetäubungen beim Rind zum Glück nur selten erlebt. Wir brauchen eine tierschutzgerechte Betäubung und Tötung, und zwar für hundert Prozent aller geschlachteten Tiere. Um das zu erreichen, muss man das Personal schulen, man muss Know-how und Sorgfalt verbessern und auf die Wartung der Geräte achten. Man muss dem Personal ständig auf die Finger sehen.

Wie wichtig ist eine gute Schlachtung für die Fleischqualität?

Mit einer schlechten Schlachtung wird nicht nur der gebotene Tierschutz verletzt, man schadet auch der Fleischqualität. Beim Schwein sind die Einflüsse der Schlachtung noch größer, aber auch beim Rind hat man das dokumentiert. Wenn man schlecht trifft, wenn die Tiere noch zappeln und krampfen, verändert das die Fleischqualität.

Ist das Schwein empfindlicher als das Rind?

Die Betäubungsmethode ist anders. Schweine werden elektrisch betäubt oder mit Kohlendioxidgas. Beim Bolzenschuss wird das Hirn mechanisch erschüttert und zerstört. Beim Gas fällt das Schwein in eine tiefe Narkose. Der Strom bewirkt einen epileptischen Anfall. Gas und Strom lassen das Tier verkrampfen, Muskeln kontrahieren. Bei der Elektrobetäubung können die Krämpfe so stark sein, dass es sogar zu Knochenbrüchen kommt.

Während der BSE-Krise wurde der Vorhang zu den Schlachthöfen öfter beiseite geschoben: Die Konsumenten blickten plötzlich der Wirklichkeit in die Augen: Fleisch „wächst“ nicht im Styroporpäckchen des Supermarkts, es kommt von lebendigen Tieren, die getötet werden müssen.

Der Schlachthof ist eine Tabuzone. Früher haben selbst die Kinder zugesehen, wenn ein Schwein auf dem Hof geschlachtet wurde. Es wäre sicher gut, wenn sich die Konsumenten bewusst machen, dass wir täglich sehr viele Tiere schlachten müssen, um ausreichend Fleisch für den riesigen Verbrauch bereitzustellen.

Muss man den abgeschotteten Schlachthof zu einem „öffentlichen“ Raum machen?

Es wäre gut, wenn die Verbraucher Bescheid wüssten, was dort geschieht, und wenn sie sich auf das Personal verlassen könnten. Es gibt einige Modellprojekte des gläsernen Schlachthofes, einzelne Betriebe machen auch Führungen. Selbst Schulklassen dürfen kommen. Viele Menschen können diesen Anblick aber nicht ertragen. Gleichzeitig wollen sie aber die Gewissheit haben, dass die Tiere ohne unnötige Qualen korrekt geschlachtet werden. Ein schwieriger Widerspruch.

Der frühere Großmetzger Karl Ludwig Schweisfurth, der jetzt zur Biotierhaltung konvertiert ist, hat einmal gesagt, ein Tier zu töten sei für ihn wie ein Orgasmus gewesen. Er meinte damit einen emotionalen Schub, eine ungeheure Aufregung. Wie geht ein normaler Schlachter damit um, dass er täglich hunderte von Tieren tötet?

Ich glaube nicht, dass alle Schlachter, insbesondere die Betäuber, verrohte Menschen sind. Natürlich können sie sich nicht bei jedem Tier bewusst machen, dass sie es töten. Sie sehen das als ein Handwerk an, das zusammen mit der Verarbeitung des Fleisches etwas Produktives ist. Schlachten ist mehr als ein Leben auslöschen, es ist ein wichtiger Beitrag unserer Ernährung.

Wird ein Betäuber abgelöst oder arbeitet er von morgens bis abends in der Tötebox?

Wir empfehlen, dass er auch andere Arbeiten verrichtet. In den meisten Schlachthöfen wird das auch so gehandhabt. Natürlich braucht man als Betäuber einen Fachmann mit besonderer Eignung. Das kann nicht jeder. Aber in jedem größeren Betrieb sollten sich mehrere Personen abwechseln.

In England wurde den Schlachtern bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts verboten, als Schöffe zu Gericht zu sitzen und Ehrenämter auszuüben. Man sprach ihnen das Einfühlungsvermögen ab. Welches Selbstbild haben heute die Schlachter, leiden sie unter ihrem Image?

Wenn jemand Rinder gut schießen kann, darf er auch stolz auf sich sein. Bei Schweinen und Geflügel ist diese Arbeit weniger gut angesehen. Da kommt es auch mal vor, dass einer sagt, ich mache das nicht mehr mit. In der Disco erzählt sowieso keiner, dass er als Schweinebetäuber arbeitet. In Ostdeutschland ist das Ansehen des Schlachters deutlich höher. In Westdeutschland, wo häufig ausländische Kolonnen zum Billigtarif eingesetzt werden, hat der Beruf kein besonders gutes Image. Mit der Einführung von Prüfungen nach der Tierschutzschlachtverordnung versucht man, dieser Arbeit mehr Autorität und Ansehen zu geben.

Werden die Schlachter wenigstens anständig bezahlt?

Es gibt Betriebe, die gerade ihre Betäuber sehr gut bezahlen, weil sie wissen, wie stark die Qualität des Fleisches von solider Arbeit abhängt. Andere Betriebe zahlen schlecht, haben eine hohe Fluktuation und beschäftigen vorwiegend ausländische Arbeitskräfte.

Wie darf man sich den idealen Schlachthof vorstellen? Werden dort die Tiere mit leiser Musik, gedämpftem Licht und laufender Dusche beruhigt? Liegen sie relaxt in den Strohbuchten, bis sie nach einem Ruhetag so sanft wie möglich aus dem Leben befördert werden?

Es gab verschiedene Tierschutzpreise für vorbildliche Schlachthöfe. Wichtig ist, dass die Gruppen der Schlachttiere nicht mit fremden Tieren vermischt werden, dass in den Warteställen keine Hektik entsteht. Der Schlachthof sollte eine ruhige Atmosphäre ausstrahlen mit schalldämpfenden Materialien für die Wände. Schweine sollten duschen, damit sie sich abkühlen können. Gleichzeitig ist aber der Druck vorhanden, eine bestimmte Schlachtgeschwindigkeit einzuhalten. Häufig wird das Personal nach Tierzahlen bezahlt. Die Betriebe stehen unter enormem finanziellen Druck des Lebensmittelhandels. Je höher die Geschwindigkeit, desto schwieriger ist es, die Schlachtung schonend durchzuführen. In einem idealen Schlachthof wäre die Akkordarbeit abgeschafft.

Als Grundsatz gilt: Ein Drittel der Fleischqualität machen die Gene des Tieres aus, ein Drittel die Aufzucht und ein Drittel die Schlachtung. Ist es berechtigt, der Schlachtung eine solch große Bedeutung zu geben?

Es ist unstrittig, dass eine schlechte Schlachtung mit langem Transport, stressigem Zutrieb der Tiere, mit schlechter Betäubung und anschließend falscher Kühlung auch das beste Fleisch ruinieren kann.

Man müsste also dem Schlachten sehr viel mehr Aufmerksamkeit widmen. Auch die Biobetriebe haben sich bisher wenig darum gekümmert.

Bei den Biobetrieben ist die Sensibilität allerdings gewachsen. Das Problem ist häufig, in der eigenen Region einen zuverlässigen Schlachthof zu finden. Inzwischen haben viele dazugelernt. Die „schonende Schlachtung“ ist ein wichtiges Ziel geworden.

Dr. KAREN VON HOLLEBEN ist Tierärztin im Beratungs- und Schulungsinstitut für schonenden Umgang mit Zucht- und Schlachttieren im norddeutschen Schwarzenbek (Schleswig-Holstein). MANFRED KRIENER lebt als freier Journalist in Berlin

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