aufruf gegen attentate: Palästinensische Zivilgesellschaft
Der Trauer und Empörung über das jüngste Selbstmordattentat der Hamas, dem am Dienstag 19 Israelis zum Opfer fielen, hat sich ein Fünkchen Hoffnung beigesellt. Noch am Tag des Anschlags verfassten 55 prominente palästinensische Frauen und Männer, darunter Politiker, Intellektuelle und Wissenschaftler, einen Aufruf gegen Selbstmordattentate. Jene, die hinter diesen Anschlägen stehen, werden unmissverständlich und direkt kritisiert: „Wir fordern sie auf, unsere Jugend nicht länger zu diesen Operationen anzutreiben“, heißt es in dem Aufruf, der gestern in der größten palästinensischen Tageszeitung, Al-Quds, veröffentlicht wurde.
Kommentarvon YASSIN MUSHARBASH
Aus drei Gründen verdient dieser Aufruf besondere Aufmerksamkeit. Zum einen, weil seine Verfasser eine Glaubwürdigkeitslücke schließen, die der palästinensische Präsident Jassir Arafat nicht mehr aus eigener Kraft zu schließen vermag. Denn Arafats umgehende Verurteilungen der Selbstmordanschläge werden in Israel – ob zu Recht oder Unrecht – schon längst nicht mehr ernst genommen. Auch als Signal an die israelische Zivilbevölkerung ist der Aufruf daher gedacht: Sie soll sehen, dass es auf der palästinensischen Seite nicht nur Unterstützer der Gewalttaten gibt.
Zum Zweiten setzen die Verfasser die Hamas und den Islamischen Dschihad unter Druck. Wenn die USA oder Jassir Arafat ihre Anschläge verurteilten, fiel es den Islamisten bisher leicht, dies entweder als proisraelische Verschwörung oder Feigheit vor dem Feind zu brandmarken. Doch nun müssen die Bombenbauer sich gegen den Widerspruch aus der Mitte ihrer eigenen Gesellschaft verteidigen. Sie müssen sich mit dem Vorwurf auseinander setzen, das Leben junger Menschen für nichts und wieder nichts geopfert zu haben und zugleich dem israelischen Premier Ariel Scharon in die Hände zu spielen.
Zum Dritten schließlich ist es ein Hoffnungszeichen, dass die palästinensische Zivilgesellschaft nun mit einer Stimme für den Frieden spricht. Wohlgemerkt: Fast jeder einzelne Unterzeichner des Aufrufs, von der Friedensaktivistin Hanan Aschrawi über den Politologen Saleh Abdel Jawwad bis zum Politiker Sari Nusseibeh, hat sich schon zuvor gegen Selbstmordanschläge ausgesprochen. Es handelt sich also keinesfalls um die erste palästinensische Verurteilung dieser Anschläge. Aber es ist der erste gemeinsame Aufruf an die Adresse derer, die dafür verantwortlich sind. Hoffentlich bleibt er nicht ungehört.
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