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big in koreaFRANK KETTERER ist mutterseelenallein

Die mysteriöse U-Bahn-Fahrt

Es war ein bisschen unheimlich, gruselig fast. Auf jeden Fall war es total surreal. Also: Ich kam an am Gimpo Airport von Seoul und begab mich von dort aus direkt in den Untergrund, um per Bahn meinen Weg in meine neue WM-Bleibe anzutreten, die irgendwo im Zentrum sein sollte. Normalerweise kennt man das in diesen neonbelichteten Schächten vor Ort so: Ein paar tausend Menschen, die sich drängelnd in die ohnehin schon überfüllten U-Bahn-Waggons hineinwinden und ein paar Stationen später wieder heraus. Es ist eine ständige Wuselei, und in Korea wird der gemeine U-Bahn-Fahrer noch weitaus enger zusammengepfercht als beispielsweise bei uns in Berlin, in etwa so eng wie Ölsardinen in einer Dose. Ich mag das nicht, diese Enge und die ganzen Menschen, aber besser als laufen ins Hotel ist es halt doch. Und so billig, wie alle Welt erzählt, sind die Taxis in Südkorea nun auch wieder nicht.

Ich hatte Glück: Diesmal waren keine abertausend Menschen im neonbelichteten Schacht, diesmal war überhaupt kein Mensch da, sondern nur ich und das Neonlicht. Ich wartete am leeren U-Bahn-Steig auf meine Bahn, stieg ein und war auch dort mutterseelenallein. Ein ganzer Waggon nur für mich und meine beiden großen Reisetaschen, die ich hier immer mit mir herumschleppe. Wissen Sie eigentlich, was das für ein Gefühl ist, wenn man als einziger Fahrgast in einer U-Bahn sitzt und durch die unterirdischen Röhren einer Millionen-Metropole donnert, vorbei an U-Bahn-Stationen, die Namen tragen wie Mok-dong, Mapo oder Gongdeok und auf denen ebenso keine Menschenseele zu sehen ist? Man hat zwar jede Menge Platz, um die Beine auszustrecken, und es ist natürlich auch weit und breit niemand da, der einem die Nase an der Fensterscheibe platt drücken könnte oder auch nur mit seinem Ellbogen rammt – aber wirklich schön ist es nicht. Es ist vielmehr wie im Film, einem dieser Weltuntergangs-Streifen, in dem gerade eine Atombombe explodiert oder ein Raumschiff mit bösen fremden Wesen aus dem All gelandet ist, die alle anderen Menschen dort oben schon ausgelöscht haben, während man unten als einziger Überlebender noch ein bisschen U-Bahn fährt. Ehrlich: Das ist ganz schön Hardcore, jedenfalls in dem Moment, in dem man es erlebt.

Jedenfalls war ich mehr als froh, als es vorbei und ich endlich angekommen war in Jongno, meiner Endstation. Ich ging einen letzten, ebenso langen wie menschenleeren Gang entlang, stieg die Treppen hinauf dem Tageslicht entgegen und war endlich wieder zurück im Leben, das Gott sei Dank nicht ausgelöscht worden war von einer Bombe oder irgendwelchen Aliens, sondern sich just in dem Moment, in dem ich aus dem Untergrund wieder emporgestiegen kam, verwandelte in quicklebendige Ekstase. Nein, nicht wegen mir, sondern weil ein Paar Kicker aus Südkorea gerade ins Halbfinale dieser WM eingezogen waren und nun Menschenmassen auf den Straßen tanzten und hüpften, die ganze Nacht lang und noch viel länger. Und natürlich verschwanden mit der Zeit auch ein paar von ihnen in den Schächten zu den unterirdischen Röhren und bestimmt standen dort jetzt wieder ein Tausende und warteten in qualvoller Enge auf ihre Bahn, um sich endlich nach Hause drängen zu können oder auch nur zum nächsten Freudenfest ein paar Stationen weiter.

Ich aber hatte die U-Bahn von Seoul kurz zuvor bei meiner Fahrt ganz für mich alleine. Wahrscheinlich gibt es nicht viele Menschen, die das von sich behaupten können. Fast schade, dass ich heute Abend nicht wieder U-Bahn fahren kann, sondern im Stadion sitzen muss.

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