: Die Pflicht zur Erfolglosigkeit
Nie war die Publikumsresonanz größer als bei seinem Begräbnis. Lothar Feix, langzeitarbeitsloser Gelegenheitsautor und Punkphilosoph vom Prenzlauer Berg, ist 48-jährig verstorben. Er fand seine letzte Ruhe auf einem Friedhof, auf dem es aussieht wie in seiner Wohnung. Eine Annäherung in Zitaten
von HELMUT HÖGE
„So wie ich gelebt habe, will ich auch bestattet werden,“ warb das End-Up-Unternehmen Grieneisen. Und der Bezirksbürgermeister Kleinert meinte am Mittwoch: „Wir sehen uns auch nur noch auf Beerdigungen!“ Gegeben wurde die Urnenbestattung von Lothar Feix, der mit 48 Jahren an Kehlkopfkrebs gestorben war. Der Punk-Philosoph war zuletzt Gelegenheitskellner in der Prenzlauer Berg Tagesbar Torpedokäfer sowie Mitbegründer des „Arbeiter- und Literatenrats“ und Autor des auf poetische Nekrologe spezialisierten Periodikums „Gegner“ gewesen.
Seine Abschlussveranstaltung hatte der Exbetriebsrat Uwe Radlof ausgerichtet, der dann auch die Trauerrrede in der überfüllten Kapelle des Georgenparochialfriedhofs an der Greifswalder Straße hielt. Aber so richtig traurig war niemand – während der anschließenden Feier im Torpedokäfer tanzten sogar einige norwegische Künstlerinnen auf dem Tisch. Einzig ein noch jugendlicher Freund des Verstorbenen schien bedröppelt.
Er hatte denn auch eine zweite Trauerrede verfasst, die seine Mutter hernach leicht überarbeitet im „Torpedokäfer“ aushängte. Neben dem Hinweis, dass Lothar Feix sich schon seit mindestens zehn Jahren mit seinem Tod beschäftigte, wurden darin noch einmal die Verdienste des vermeintlich Zufrühverstorbenen gewürdigt – u.a. sein Engagement für die Freilassung von Angela Davis. Davor hatte der Sohn des ehemaligen Polizisten und Kriminalromanschreibers Gerhard Feix bereits persönlich der Prenzlauer-Berg-Dokumentaristin Annett Gröschner seine Sicht der Dinge diktiert: „Ich selbst würde mich als langzeitarbeitslosen Gelegenheitsautor bezeichnen“.
1981 hatte er eine kleine bei den Behörden durchgesetzte Anarcho-Demonstration zu Ehren von Erich Mühsam organisiert, schon damals war er Gelegenheitsarbeiter – Tellerwäscher, Straßenfeger, Telegrammbote, Heizer, wie es gerade kam, wobei sich Neugier und Disziplin die Waage hielten.
Nach der Wende kämpfte er dennoch einmal ein ganzes Jahr mit diversen Behörden, um nicht zum Gärtner umgeschult zu werden. Zuvor hatte man ihn auf ABM zur Erfassung der Vertikalbegrünung nach Weißensee verdonnert. Lothar Feix verließ höchst ungerne den Prenzlauer Berg: „Gelegentlich treffe ich hier noch Leute, mit denen ich zur Schule gegangen bin … Ich staune manchmal,die sehen alle viel reifer aus als ich“.
Wenn er nicht gestorben wäre, hätte er sich wahrscheinlich im Aussehen immer mehr Erich Mühsam anverwandelt. „Was bleibt“, schreibt sein jugendlicher Freund, „ist die Verpflichtung zur Tat, zur Erfolgslosigkeit. Klar hat er genuschelt, klar hat er sich oft genug zum Idioten gemacht, aber jeder, der ihn genauer kannte, hat seinen Witz, Verstand und das große Wissen geschätzt. Eines Morgens in der blauen Stunde jagten wir, genaugenommen eher äußerst langsam, von der Lychener kommend über die Stargarder nach Hause: ‚Ich schlag den Mond zur Sonne!‘, brüllte Lothar zwischen den Laternen, aber irgendwie kam er nicht richtig ran …“
Der Friedhof, auf dem wir ihn nun beerdigten, war verwildert und mit umgefallenen Grabsteinen übersät: „Das wird Lothar gefallen, hier sieht’s aus wie in seiner Wohnung“, meinte die Gelegenheitsjuristin Cornelia Köster, bei der er einige Monate lebte, weil man dem Schwerkranken sein Dreckloch nicht mehr zumuten mochte, zum Schluss fand sich aber doch noch eine schöne neue Wohnung für ihn. Uwe Radlof sprach in diesem Zusammenhang von „Ironie“, denn kurz vor seinem Tod war er „zum ersten Mal seit Jahren materiell halbwegs abgesichert“. Allerdings konnte er wegen seiner Krankheit diese letzte Möglichkeit, gut zu essen, gar nicht mehr nutzen.
Das Geld kam von der Organisation „Schriftsteller in Not“, die ihm kurz nach der Wende schon einmal – mit 5000 DM – auf die Sprünge geholfen hatte. Dafür saß er die letzten Wochen ununterbrochen am Computer – und hinterließ schließlich eine dicke Diskette: einen Krebsroman, der bereits vom Basisdruck-Verlag, dem auch schon die Kneipe Torpedokäfer gehört, wohlwollend geprüft wird. Außerdem hinterließ Feix noch jede Menge Punkplatten bzw. -CDs. Der Punk verband ihn mit den Assis bzw. Obdachlosen, wie man im Westen sagt, vom Helmholtzplatz. Und aus dieser Sichtweise argumentierte er auch stets. Seine konsequente Spießerfeindlichkeit galt vielen als Volksverachtung, zunehmend gar als kundenvergraulend. Er selbst hat dazu einmal ausgeführt: „Ich war so ziemlich bei allen Sachen dabei, auch bei dieser ominösen, bescheuerten Demonstration am 4. November 1989 … Ich habe mit den Leuten von der Vorbereitungsgruppe wirklich viel geredet, doch die tönten, in Leipzig sind soundsovieltausend, da müssen wir in Berlin noch mehr werden. Das fand ich bescheuert und habe gesagt, auf der einen Seite beklagt ihr das Bildungswesen, durch das die Leute immer mehr verblödet sind, und dann wolt ihr mit dieser Masse von Blödmännern auf die Straße gehen, was soll denn dabei rauskommen? Und so war dann ja auch. Aber mir wurde vorgeworfen, ich hätte das Volk missachtet.“ In aller Freundschaft würde ich diesen Vorwurf auch heute noch aufrecht erhalten.
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