: Schily sorgt bei Türken für Entsetzen
Bundesinnenminister reicht Integration der Migranten nicht – er fordert ihre Assimilierung. Diese Nähe zur Union geht auch Sozialdemokraten zu weit. Grüne warnen vor Leitkulturdebatte. Bundesausländerbeirat wirft Schily Rechtspopulismus vor
aus Berlin LUKAS WALLRAFF
Noch vor knapp einem Monat ist Otto Schily mit dem Deutsch-Türkischen Freundschaftspreis geehrt worden – für sein Engagement beim Zuwanderungsgesetz. Nun hat der Innenminister die Türkische Gemeinde in Deutschland und den Bundesausländerbeirat gegen sich aufgebracht. „Die beste Form der Integration ist Assimilierung“, postulierte Schily in der Süddeutschen Zeitung. „Die Türken müssen hineinwachsen in unseren Kulturraum.“
Eine staatliche Unterstützung für die Pflege der Herkunftssprache und der eigenen Kultur, etwa durch Fernsehprogramme, lehnte Schily ab. „Integration hat die Einbeziehung in den deutschen Kulturraum zum Ziel“, sagte der Innenminister. „Da können wir nicht noch alle möglichen Sprachen fördern. Das führte doch zu einem völligen Chaos.“
Mehmet Kilic, Vorsitzender des Bundesausländerbeirats, warf Schily vor, einen „rechtspopulistischen Wahlkampf mit sozialdemokratischem Etikett“ zu betreiben. In einer pluralistischen Gesellschaft dürfe keiner von Minderheiten verlangen, „dass sie sich assimilieren, ihre Muttersprache vergessen und sich, bitte schön, an die Leitkultur anpassen“. Kilic sieht in den Äußerungen Schilys eine „Unterstellung“, dass es keine Bereitschaft unter den Migranten gäbe, die Mehrheitssprache zu erlernen und sich zu integrieren. „Beides ist falsch.“
Mit seiner Aufforderung zur „Angleichung und Anpassung an die hiesigen Lebensverhältnisse“ stieß Schily auch bei der Türkischen Gemeinde auf Empörung. „Noch nie hat sich ein Politiker dieses Ranges, nicht einmal von der CDU/CSU, so offen für Assimilierung ausgesprochen“, sagte ihr Vorsitzender Hakki Keskin der taz. Schily wolle offenbar in einen „üblen Wettbewerb mit den Herren Beckstein und Schill treten“. So werde er aber „keine Stimme der türkischen oder anderen Minderheiten bekommen, die Gott sei Dank als neue deutsche Staatsbürger zu den Wahlen gehen dürfen“.
Sein Plädoyer für eine „Assimilierung“ hatte Schily offenbar im Alleingang gestartet. Auch führende SPD-Politiker setzten sich gestern deutlich von ihrem Parteifreund ab. „Ich weiß nicht, ob man die Debatte mit einem problematischen Begriff belasten muss“, sagte SPD-Generalsekretär Franz Müntefering. Die Diskussion über Zuwanderung und Integration sollte nicht mit Dingen verknüpft werden, „die so tun, als ob der Einzelne nicht seine eigene Kultur im Kopf, im Herzen und auch in der Kleidung behalten könnte“. Der innenpolitische Sprecher der SPD, Dieter Wiefelspütz, sagte der taz, seine Partei fordere lediglich „Integrationsbereitschaft“. Ob sich ein Zuwanderer assimilieren wolle, sei „eine freie Entscheidung“.
Der Grünen-Innenpolitiker Cem Özdemir warnte gegenüber der taz davor, „dass man die Leitkultur-Debatte jetzt von sozialdemokratischer Seite lostritt“. Darin wurde er von Wiefelspütz unterstützt: „Wir wollen keine Leitkulturdebatte.“
Für den Wahlkampf hat die SPD aber noch ein anderes heikles Thema in petto: die Aussiedler. Nach dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Sigmar Gabriel sprach gestern auch der Aussiedlerbeauftragte Jochen Welt (SPD) von einem „nachlassenden Verständnis für den Aussiedlerzuzug in der einheimischen Bevölkerung“.
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