: Zwölf Tage Aufschub für Bosnien
UN-Sicherheitsrat findet keinen Kompromiss im Streit um die von den USA geforderte Immunität ihrer UN-Soldaten und gewährt sich noch einmal zwölf Tage Zeit zum Verhandeln. Nur China scheint auf US-Linie zu liegen. Kofi Annan regt sich auf
von BERND PICKERT
Die Befürchtungen haben sich als falsch erwiesen: Die große Mehrheit der 15 Mitglieder des Weltsicherheitsrates hat sich am Mittwoch gegen die Versuche der USA gestellt, mit einem so genannten Kompromissvorschlag in der Frage der Bosnien-Mission das Statut des Internationalen Strafgerichtshofes auszuhebeln. Beide Seiten haben deutlich gemacht, dass es ihnen ernst ist – und so ist zunächst nur eine erneute Kurzverlängerung des Bosnien-Mandats herausgekommen. Zwölf Tage, bis zum 15. Juli, läuft die Mission jetzt weiter. Bis dann muss weiter versucht werden, eine Lösung zu finden.
Die USA waren am Mittwoch zwar von der Forderung nach absoluter Immunität für alle US-Soldaten vor einer möglichen Verfolgung durch den neu geschaffenen Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) abgerückt, sie hatten sogar einen Vorschlag präsentiert, der sich an den Artikel 16 des IStGH-Statuts anlehnt – ihn allerdings ins Gegenteil verkehrt. Dieser Paragraf sieht vor, dass der Weltsicherheitsrat in Einzelfällen Ermittlungen oder Verfahren vor dem IStGH für zwölf Monate stoppen kann, wenn das im übergeordneten Interesse von Frieden und Sicherheit angezeigt erscheint. Die USA verlangten nun, der Sicherheitsrat solle allen Angehörigen von UN-Missionen, die aus Staaten kommen, welche nicht dem Statut beigetreten sind, eine sich automatisch jedes Jahr erneuernde Immunität zusichern, es sei denn, der Sicherheitsrat hebe diese Entscheidung wieder auf. Damit hätte das Vetorecht der USA im Sicherheitsrat den Gerichtshof eines seiner wichtigsten Grundsätze beraubt, das Statut nur drei Tage nach seinem Inkrafttreten ausgehebelt.
Noch am Nachmittag hieß es Gerüchten aus dem UN-Gebäude zufolge, es zeichne sich für diesen, laut UN-Diplomaten unter Mitarbeit Großbritanniens verfassten Vorschlag eine Mehrheit ab. Tatsächlich aber verweigerten unter starkem Druck von außen dann doch 13 von 15 Sicherheitsratsmitgliedern die Zustimmung. Nur China soll Interesse bekundet haben.
UN-Generalsekretär Kofi Annan hatte in einem Brief an US-Außenminister Colin Powell in ungewöhnlich deutlicher Sprache davor gewarnt, das gesamte UN-Friedenssicherungssystem in Gefahr zu bringen. Der Vorschlag der USA sei „ein Schlag ins Gesicht internationaler Vertragswerke“.
Es war nur ein Zufall, dass parallel zum Sicherheitsrat auch die Vorbereitungskommission (PrepCom) des IStGH tagte. Dort ließen die Regierungsdelegationen kaum Zweifel daran, was sie von den US-amerikanischen Absichten hielten. Der kanadische Delegierte Paul Heinbecker appellierte in aller Schärfe an den Sicherheitsrat, internationales Recht nicht mit Füßen zu treten. Er zeigte verschiedene Wege auf, wie die USA ihre Soldaten vor angeblichen Bedrohungen durch den Gerichtshof schützen könnten, ohne die UN-Friedensmissionen in Gefahr zu bringen, etwa den Rückzug ihrer eigenen Soldaten oder bilaterale Abkommen mit den jeweiligen Ländern. „Es gibt keinen Grund dafür, warum andere Staaten davon abgehalten werden sollten, UN-Friedensmissionen durchzuführen, besonders da es andere Staaten sind, die den Großteil des Personals bei diesen Missionen stellen“, sagte er und zitierte die New York Times vom Tage, nach der von 45.000 Soldaten in UN-Friedensmissionen lediglich 704 aus den USA kommen.
Dass sich der Sicherheitsrat mit dem kurzzeitigen Erneuerungsbeschluss einen weiteren Aufschub gewährte, war angesichts der verfahrenen Situation die beste Lösung. Die USA dürften verstanden haben, dass so ein Vorschlag nicht durchzubringen ist, auch wenn der US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, John D. Negroponte, sich zuversichtlich gab und meinte, niemand habe „die Tür für die Umsetzung unserer Vorschläge wirklich zugeschlagen“. Jetzt sind zwölf Tage Zeit, um einen Vorschlag zu erarbeiten, der die Zukunft der Friedensmissionen und die Integrität des Strafgerichtshofes sichert – und gleichzeitig der völlig verrannten US-Politik eine Möglichkeit bietet, das Gesicht zu wahren. Keine einfache Aufgabe.
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