: Bremer Polizist entschärfte die WM
Als dienstältester deutscher Hooligan-Spotter war der Bremer Edwin Olchers fast fünf Wochen lang bei der Fußballweltmeisterschaft in Japan und Südkorea. Dort bekämpfte er statt deutscher Hooligans vor allem asiatische Vorurteile
Ein Polizeieinsatz ist für Kommissar Olchers gut gelaufen, wenn er erstens nötig war und zweitens erfolgreich Schlimmeres verhindert hat. So gesehen waren die 38 Tage, die der Bremer als einer von acht deutschen Einsatzkräften bei der Weltmeisterschaft in Südkorea und Japan verbracht hat, kein sehr erfolgreicher Einsatz.
Nicht einen deutschen Hooligan hat Edwin Olchers als dienstältester Hooligan-Spotter Deutschlands an den Austragungsorten der Fußballweltmeisterschaft gesehen. Gut, ein Hamburger war, kaum in Tokio gelandet, postwendend zurückgeschickt worden. Doch ansonsten landete nur ein deutscher Schwarzmarkthändler von Original-WM-Tickets im japanischen Polizei-Gewahrsam. „Mehr war einfach nicht“, berichtet der Bremer Polizist. Weder ihn noch die deutsche Delegationsleitung aus der Zentralen Informationsstelle für Sporteinsätze in Düsseldorf (siehe Kasten) hat das allerdings gewundert.
Für die Japaner war jeder Deutsche ein Hooligan
„Zweifel am Sinn dieses Einsatzes hatte die deutsche Leitungsebene von Anfang an“, sagt Olchers. Doch nachdem 80 japanische und südkoreanische Beobachter zu Hause angsterregende Hooligan-Reports von der letzten Fußball-Europameisterschaft abgeliefert hatten, stand dort fest: Dem in Asien bislang völlig unbekannten Hooligan-Phänomen würden sich die Gastgeber keinesfalls ohne praxiserfahrene Europäer ausliefern. Diplomatische Drähte liefen darüber heiß. Und schließlich willigte Deutschland ein, Bremen zahlte den Flug und Olchers hatte – nach zwölf Jahren als „Stress-Konflikt-Beamter“ und nach zahlreichen Spielen in Belgien, Holland und England – seinen ersten außereuropäischen Spotting-Einsatz.
Und dank deutscher Fußballerfolge sogar für unerwartete fünf lange Wochen. Im internationalen Auftrag, der Deeskalation heißt, erschien er quasi Tag und Nacht überall dort, wo es brenzlig roch. Neben einem Berg kultureller Eindrücke – „die Japaner sind einfach vernünftiger und disziplinierter, nicht mal Abfall bleibt im Stadion liegen“ – hat der Mann aus der Steintor-Wache auch 138 neue Überstunden angehäuft.
Die nächsten kann er schon am Bundesliga-Spielplan der kommenden Saison ablesen und aus dem Kalender ergibt sich auch der nächste kommende internationale Höhepunkt seiner Karriere: Die Fußball-WM 2006 in Deutschland. Bis dahin müssen nachwachsende Fuballrowdies ausgespäht sein. Olchers wird dann vielleicht zum letzten Mal dabei sein. „Ewig kann man das nicht machen“, sagt der Mann mit den freundlichen Lachfalten unter der dunkelblonden Bürste. „In meinem Pass steht, ich bin 50.“
Mit den Fans verbindet ihn nur der Sport
Mit seiner halb so alten Zielgruppe verbindet den Polizisten die Liebe zum schwarzweißen Leder. „Wir Fans“, sagt er manchmal – und meint dann auch den Fußball-Rowdie der EU-Kategorie C, den gewaltbereiten oder bereits einschlägig aufgefallenen Hooligan, „den Problemfan“. Dem läuft er quasi in ganz Europa hinterher: zu Szenetreffs und Fanblocks, an die Bahnhöfe oder wo immer sich sonst etwas zusammenbrauen könnte, was den polizeilichen Zugriff provoziert, der in Deutschland immer häufiger bereits im Vorfeld erwarteter Straftaten geschieht. „In anderen Ländern ist das anders“, nickt Olchers. „Bei den Europameisterschaften in Belgien musste ich ganz schön auf die Kollegen einreden, bis sie die gefährlichen Leute endlich von der Straße geholt hatten.“
Andere Länder andere C-Fälle
Doch was ist Gefahr? Wo beginnt Prävention? Europa ist da uneins. Wenn beispielsweise eine englische Mannschaft in Deutschland spielt, und die Briten nur drei krasse C-Fälle im anreisenden Fantrupp melden, weiß Olchers aus Erfahrung: Das sind nur die allerschwersten Jungs. „Die haben mindestens schon vorm Richter gestanden.“ Körperverletzung, gefährliche Körperverletzung. Da ist einiges denkbar. Sicher aber ist: Kommen werden viel mehr gewaltbereite Engländer als nur die angekündigten drei. Deutschland rechnet da anders als England. Und seit der WM weiß Olchers: Japan erst recht.
„Die Japaner denken, dass jeder deutsche Fan ein Hooligan ist.“ Die Bilder aus Frankreich, wo Deutsche den Polizisten Daniel Nivel vor laufenden Kameras fast totschlugen, wirken nach. Vielleicht stellten sich die japanischen Kollegen deshalb lange taub, wenn der deutsche Polizist aufmuckte: „Ich kann doch nicht jeden harmlosen deutschen Fan als Hooligan ansprechen.“
Rund 800 Fans zogen an Olchers und seinen Kollegen vorbei, die in den Ankunftshallen japanischer Flughäfen postiert waren. Jeden Mann über einen Meter fünfzig und unter 30 schauten sie sich kritisch an. „Nein, nicht mit Kamera“, sagt Olchers. Sein Geschäft heißt Prävention. Das bedeutet: sehen und gesehen werden. Gesehen hat er vor allem Fans um die fuffzig, mit genug Geld für japanische 12-Mark-Biere. Neben sich immer einen japanischen Polizisten – wegen der Rechtslage: „Wir waren da ja völlig machtlos.“ Als Praktiker litt Olchers darunter durchaus.
Kein Rankommen an die Krawallmacher
Beispiel Stadion. „Hätten 30 Problemfans in Saporo die Absperrungen im Stadion überwunden, wir hätten nur hinterhergeschaut.“ Herangekommen wären die Deutschen an die Krawallmacher nicht – wegen aufwändiger Sicherheitskontrollen zwischen den verschiedenen Blocks. In Europa wäre so was undenkbar. So gesehen war es wohl fast ein Glück, dass die deutsche WM-Mission überflüssig war, nickt der Bremer Polizist.
Eva Rhode
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