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islamistischer terrorWahn brauchtkeine Organisation

„Rasterfahndung“ hieß das Zauberwort für eine effektive Suche nach vermeintlichen islamistischen Schläfern in Deutschland. Hunderttausende von Daten wurden überprüft, Menschen nichtdeutscher Herkunft mussten sich als potenzielle Terroristen durchleuchten lassen. Doch diese Aushöhlung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung hat zur Gefahrenabwehr offenbar herzlich wenig beigetragen.

Kommentarvon PASCAL BEUCKER

In Baden-Württemberg blieben 34 profane Kriminelle im Raster stecken – allerdings kein einziger Terrorist, Al-Qaida-Kämpfer oder Bombenleger. Auch das am Donnerstag bei Heidelberg verhaftete Paar wurde nicht durch die Rasterfahndung aufgespürt. Dass ihr geplanter Anschlag verhindert werden konnte, ist allein der Aufmerksamkeit einer Bekannten der Tatverdächtigen zu verdanken.

Auch wenn der bayerische Innenminister Günther Beckstein schon mal flugs und wahlkampfkompatibel festgestellt hat, dass es sich auf jeden Fall um eine Gruppe handeln müsse: Bislang spricht alles dafür, dass die beiden mutmaßlichen Bombenleger fanatisierte Einzeltäter sind. Als solche lassen sie sich nicht in eine Norm pressen, ihnen ist mit Methoden wie der Rasterfahndung nicht beizukommen.

Tatsache ist, dass es Menschen gibt, die anfällig für islamistisches und/oder antisemitisches Gedankengut sind. Um in Ussama Bin Laden einen nachahmenswerten Helden im Kampf gegen die westliche Welt, die USA und gegen Israel zu sehen, bedarf es keiner Organisation; individueller Wahn reicht vollkommen aus. Gegen den bieten auch noch so ausgefeilte Sicherheitsgesetze und Fahndungsmaßnahmen keinen Schutz.

Im Übrigen führt ein solcher Wahn nicht unbedingt zum Bombenbasteln: Was macht eine Gesellschaft beispielsweise mit jener ansonsten friedfertigen Kölner Familie türkischer Herkunft, die ihren neugeborenen Sohn aus ideologischer Verblendung und wenig geschmackvoll nach dem Al-Qaida-Chef benennen will? Ein solches Integrationsproblem lässt sich nicht mit der unverdaulichen Mixtur heilen, die Stoiber, Beckstein & Co. nach dem vereitelten Anschlag von Heidelberg wieder einmal verabreichen wollen: mit noch mehr Überwachungsgesetzen, einem stärkeren Staat und dem Abbau der Rechtsstaatlichkeit. Mit diesen Mitteln schüren sie Misstrauen gegen Ausländer und desintegrieren sie auf diese Weise. Aber darüber wird man sich erst nach der Wahl wieder vernünftig unterhalten können.

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