: Im Wartesaal der Revolution
Nieder mit dem reaktionären Kleinbürgertum in den bayerischen Bergen: Wie der „Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD“ gegen die CSU agitiert und sein eigenes Programm links liegen lässt
Gerhard Kupfer und seine Genossen waren in den letzten zwei Wochen viel in Bremen unterwegs. Ob frühmorgens vor den Werktoren, vor dem Arbeitsamt oder auf den Pausenhöfen der Berufsschulen: Die Bremer Aktivisten des „Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD“ verbreiteten ihre „Losungen“ für die Wahl. „Arbeiter erkenne deine Macht“, fordern sie, „und hilf doch nicht Stoiber zu siegen“. Da eine Arbeiterregierung nicht zur Wahl stehe, solle man im Westen die SPD und im Osten die PDS wählen und sich bei den Kommunisten organisieren.
Bei den Passanten habe er eine „klare Anti-Stoiber-Haltung“ wahrgenommen, berichtet Kupfer. „Die denken, der Stoiber kommt aus den bayerischen Bergen und kann nix Gutes für uns Norddeutsche bedeuten.“
Um dieses dumpfe Gefühl mit Fakten zu unterfüttern, hatte der Arbeiterbund am Donnerstagabend ins Konsul-Hackfeld-Haus geladen: Dort war hoher Besuch zugegen, nämlich der Genosse Stefan aus München. Stefan Eggerdinger – Nickelbrille, Geheimratsecken, Kettenraucher und bayerisches Idiom – ist Mitglied im Zentralkomitee des Arbeiterbundes. Der Genosse habe „einige Recherchen über Stoiber angestellt“, raunt Kupfer.
Die Stimmung im Saal erinnert mehr an eine Lesung Eugen Drewermanns als an die Oktoberrevolution. Die Arbeiter sitzen brav und lauschen, ganz vorne thront der belesene Referent, hinten wartet der Schriftenstand: Werke von Lenin, Marx und Mao, eine selbstkritische Analyse der türkischen Linken, eine Ernst-Thälmann-Biografie. Einige der 15 Zuhörer, darunter Daimler-Azubis, tragen einen „Stoppt-Stoiber“-Button am Revers. Getrunken wird Wasser und Cola. Wer die Arbeiterrevolution plant, muss nüchtern bleiben.
Genosse Stefan kommt in seinem „Referat“ schnell zur Sache: Er agitiert gegen Stoiber persönlich, der ein „ausgesprochen dummer und mittelmäßiger Mensch“ sei. Als Begründung muss der Merkel-Christiansen-Versprecher herhalten. Gegen die CSU, die eine „faschistische Sammlungsbewegung“ sei, weil sie rechts von sich keine demokratische Partei dulde und überdies in der Außenpolitik „völkische, ultrareaktionäre Vorstellungen“ hege. Gegen die „klassenmäßige Schwungmasse“ der CSU, also gegen das „reaktionäre Kleinbürgertum“, das eine „teuflische Angst vor der Arbeiterklasse“ habe. Gegen die Hans-Seidel-Stiftung, die der „Auslandsnachrichtendienst“ der CSU sei und bei der „Zerschlagung der Tschechoslowakei“ mitgemischt habe. Gegen das Land Bayern, diese „größte deutsche Kriegswerft“. Und gegen massiven Sozialabbau durch den „spätbürgerlichen deutschen Imperialismus“, der die DDR annektiert habe.
Als der Genosse Stefan ein Ende gefunden hat und gierigst an seiner Zigarette zieht, meint man, den Antichrist persönlich kennengelernt zu haben: Edmund Stoiber. Fragen an den Referenten gibt es nicht wirklich.
Das eigene Programm diskutiert der Arbeiterbund an diesem Abend nicht. Die Parolen stehen dafür auf Flugblättern: Abzug aller deutschen Soldaten aus dem Ausland, die 35-Stundenwoche per Gesetz, ein kostenloses staatliches Gesundheitswesen und, wenn auch nicht mehr ganz aktuell, die Abschaffung der deutschen Blutstaatsbürgerschaft. Fehlt nur noch die Wahlempfehlung des Arbeiterbundes: „Man wird zähneknirschend wieder einmal die Sozialdemokratie wählen müssen“, sagt der Genosse Stefan. Die SPD sei nicht das kleinere, sie sei „ein anderes Übel“. Doch während Stoiber auf die Arbeiter und Gewerkschaften gar keine Rücksicht mehr nehme, bekomme die SPD „ihr Geld und ihre Ministersessel nur, so lange sie Einfluss auf die Arbeiter“ habe. Und in einer der nächsten Jahre oder Jahrzehnte komme dann eine Arbeiterregierung an die Macht, prophezeit der Redner. „Die SPD wird also entweder von der Revolution oder von der Konterrevolution aus den Sesseln gejagt.“ Markus Jox
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