: Suchscheinwerfer in Seelandschaft
Sie stellt ihre Stimme genauso in tanzfreudige Rhythmuslandschaften, wie sie herbe Balladen zu singen weiß: Die britische Folkmusikerin Beth Orton gab in Köln ihr einziges Deutschlandkonzert und überzeugte ihr angetanes Publikum davon, dass Träume noch immer das Allerbeste im Leben sind
von CHRISTINE HEISE
Grundgroße Güte, was haben sich die Jungs früher die Köpfe eingehauen! Punks gegen Skins, Rocker gegen Teds, alle gegen Popper. Selbst Veteranen der Szene, mit und ohne Narben, haben beim Lesen von Jürgen Teipels Doku-Roman „Verschwende Deine Jugend“ über den deutschen Punk und New Wave im Nachhinein gestaunt.
Was war eigentlich der Grund damals, worum ging es? Beth Orton, Jahrgang 1970, lächelt müde. „Hatten sie überhaupt einen Grund?“ Nichts könnte sie mehr langweiligen, als an das Heißblut von gestern einen Gedanken zu verschwenden. Zu sehr ist sie Teil einer längst säkularisierten Popwelt der friedlichen Koexistenz. Da gibt es Toleranz, freundliches Desinteresse, maximal arrogante Verachtung, aber blutige Leidenschaft, wenn sie denn überhaupt irgendwo brodelt, ist aus dem Pop jedenfalls ausgezogen.
So gesehen ist die Musik von Beth Orton kein Wunder. Denn eine von Glaubenskämpfen befreite Generation bewegt sich in der aktuellen stilistischen Vielfalt wie in der Süßigkeitenabteilung: Sie nimmt, was schmeckt. Nicht wahllos, sondern haarscharf auf die eigenen Bedürfnisse gemünzt.
Und die sind bei Beth Orton zunächst gar nicht so originell gewachsen: Beatles, Stones, Neil Young, Joni Mitchell, The Byrds und immer das Ohr am Chartsradio, so wuchs sie in Norfolk auf. Wollte eigentlich Schauspielerin werden, aber fand mehr Spaß daran, ihren Schulfrust am Schlagzeug der Schulband rauszulassen. Immer druff, und das Drumherum vergessen. Mit dem Umzug nach London kamen die Clubs und Musikerfreunde, allen voran William Orbit, Produzent, Remix-Pionier und nicht nur Madonnas Liebling.
Fasziniert von dem ungewöhnlichen Klang ihrer Stimme animierte er Beth Orton zum Singen, zunächst für sein eigenes Projekt Strange Cargo. Ein Auftritt des politischen Folkcharismatikers Gil Scott-Heron, vor allem aber die Entdeckung des New Folk Sound von Terry Callier zeigten ihr den Weg. Dieses 1964 eingespielte Album gilt noch heute als Meilenstein auf dem Versuchsfeld zwischen tiefstem Soul und puristischem Folk.
Derart beflügelt entdeckte Beth Orton die eigene Stimme. Ein sprödes, tiefes Organ, oft an Marianne Faithfull erinnernd, jedoch ganz ohne deren gepflegte Verruchtheit. Eine Stimme, die karge Räume zu erschaffen versteht und sich wie ein energischer, aber unruhig forschender Suchscheinwerfer darin bewegt. Erst gegen Ende ihres einzigen Deutschlandkonzerts in der Kölner Kantine kommt diese einmalige Kraft zum Tragen. Ihre eigentlich sechsköpfige Band reduziert sich auf Gitarre und Cello, überwunden sind vorherige Stimmprobleme, und sie ist mittendrin in ihrem einzigartigen Ton, immer pendelnd zwischen Klage und Forderung, Sehnsucht und Resignation. „I Wish I Never Saw The Sunlight“, einen ihrer schönsten Songs, gibt es reduziert und essenziell, so als hätte sie die belanglos angenehmen Rüttelt-keinen-wach-Phasen zuvor an diesem Abend selber satt. Sie zeigt dann überdeutlich, warum die Popwelt ihr zu Füßen liegt. The Chemical Brothers, Johnny Marr, Terry Callier leibhaftig und neuerdings auch die Countrygöttin Emmylou Harris sowie das vitalste Talent des Rock ’n’ Roll Ryan Adams – sie alle wollten ebenso unbedingt mit ihr wie sie auch mit ihnen arbeiten.
So einsam und verloren sie oft klingt, um sie herum herrscht Kommunikation. Ihre eigenwillige Persönlichkeit und ihr unbedingter Freiheitswille in Stil- und Genrefragen („I always hated snobism!“) wirken magisch auf die ewig Neugierigen. Warum sich abgrenzen, wenn man zusammenarbeiten kann? In menschenentleerte, tanzfreudige Rhythmuslandschaften stellt sie ihre Stimme ebenso, wie sie bittersüße, herb-romantische Balladen in die Loungeräume der Großstadt trägt.
An diesem Abend hat sie alles in der Hand. Die spargeldürre, hoch aufgeschossene Bandleaderin im Glitzerkleidchen ist selbstsicher wie nie. Sie erzählt unverblümt typisch englisch verklemmte, grottenschlechte Witze („Was macht ein Mathematiker bei Verstopfung? – Er löst das Problem mit einem Bleistift.“), überrascht mit gelegentlich teeniehaftem Gegiggel, hinterlässt aber am Ende ihr über die Maßen angetanes Publikum mit der realitätszerschmetternden, eindringlich intonierten Erkenntnis: „The best things in life were dreams.“
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