: Die Bräutekunst-Debatte
In den USA angekommen
Diese Debatte ist bedeutend älter als Berlin, denn jede Geschichte beginnt mit einem Frauenraub und die Kultur mit einem Frauentausch – vermutet der Ethnologe Claude Lévy-Strauss. Bei der nordamerikanischen macht Pocahontas den Anfang und bei der südamerikanischen Malinche, die Cortez dann in Marina umtaufen ließ. Die Bräutekunst, so darf man vielleicht hinzufügen, besteht darin, freiwillig zu dieser Kulturleistung bereit zu sein bzw. auf der anderen Seite beim Bräutigam in einer gewissen Überredungskunst. Dabei wissen wir natürlich, dass einem inzwischen selbst die freiwilligen Handlungen aufgezwungen werden. Weil die Deutschen – Männer wie Frauen – nach der letzten Kapitulation einerseits Angst davor hatten, von den Russen vergewaltigt zu werden, und auf der anderen Seite die anrückenden Amerikaner sogleich als sehr schön und reich empfanden, entstand bereits 1945 trotz Fraternisierungsverbots eine neue soziale Gruppe: die „Amisen“ – so wurden in Berlin die Ami-Liebchen der ersten Generation, die dann offiziell „Kriegsbräute“ hießen, genannt – durchaus herablassend.
Wobei es jedoch einen Unterschied machte, ob die Betreffende einen weißen Offizier mit Fahrer als Freund hatte oder einen einfachen GI, der vielleicht sogar noch dunkelhäutig war. Weil die Amis zuerst in Neapel gelandet waren, gab es zu diesem Phänomen bereits 1947 einen italienischen Bestseller – von Curzio Malaparte: „Die Haut“. Die damit zusammenhängenden Probleme beschäftigten aber bald auch deutsche Politiker, Pastoren und Publizisten heftig. Denn zahllos waren am Ende die traurigen Schicksale der Landser, deren Ehefrauen sich inzwischen mit einem der „Sieger“ liiert hatten, schon allein aus Verpflegungsgründen. Das ging so weit, dass so ein ausgezehrter Spätheimkehrer in der Heimat plötzlich vor verschlossenen Türen stand.
Als 1981 die erste Biografie einer Amise erschien, war dieser Gründungsgeschlechterkampf der BRD aber bereits Geschichte. Oder jedenfalls musste die aus den USA angereiste Autorin von „Kitty – Der Roman einer Generation“, Brigitte Hunter, da schon in einer HR-Talkshow gegenüber dem männlichen Zeitzeugen, Erich Kuby, darauf bestehen, dass alle Frauen zumindest in Karlsruhe einen amerikanischen Liebhaber hatten. Während der berühmte Publizist sich nur an einige wenige dort erinnern wollte.
Jetzt hat der Treptower Zwei-Zwerge-Verlag in seiner Reihe „Lebensbilanzen“ die Biografie einer Berliner Amise veröffentlicht. Der erste Teil des zweibändigen Werkes heißt „Eine Singerin“, und seine Autorin ist die heute in den USA lebende Margot McKinney Bouchard, geb. Singer. Das Buch thematisiert ihre Kindheit in Steglitz, ihre BDM-Zeit, den Arbeitsdienst als Bibliothekarin im Sudetenland und schließlich ihre Flucht von dort nach Berlin, wo sie dann im „Motorpool“ der US-Army in Lichterfelde einen Job und einen Mann – Mac – findet, dem sie 1948 zusammen mit weiteren „Kriegsbräuten“ nach Amerika folgt. Ihr wahres Bräutekunstwerk legte die Autorin jedoch erst in der Heimat ihres Mannes und im zweiten Band – unter dem Titel „Eine Fülle von Gesichten“ – vor.
Denn schneller und zielstrebiger als er, der immer mehr dem Alkohol zuspricht, gelingt es ihr, sich mit den Kindern eine eigene Existenz in Amerika aufzubauen. Dabei arbeitet sie sich von der Textilarbeiterin und Verkäuferin bis zur Bibliothekarin und schließlich Collegedozentin hoch. Nebenbei zieht sie noch ihre Kinder groß, hält Vorträge und schreibt. Derzeit sitzt sie an ihrem dritten Memoirenband und hat noch einmal geheiratet – einen schon in den Dreißigerjahren nach Kanada ausgewanderten „Berliner“.
Aber schon lange davor, als im US-Fernsehen noch die „Bonanza“-Serie lief, Anfang der Sechzigerjahre, war sie in der Lage zu sagen: „ ‚We had arrived’ – und konnten uns gratulieren, den Übergang von der Blaukragenwelt in Williamsport zur Weißkragenwelt in Poultney recht gut bewältigt zu haben.“ Ihr Gelegenheitsarbeiter gebliebener Ehegatte besteht aber auch nach dem Umzug darauf: „Ein Mann hat doch Rechte in seinem Haus“ – woraufhin sie entgegnet: „Immer dasselbe alte Lied von der Rolle des ‚Mannes‘ – etwas, worauf man meiner Meinung nach nur Anspruch hat, wenn man wie ein ‚Mann‘ handelt und seine Familie anständig versorgt.“ Da das nur allzu sporadisch geschieht, bleibt sie lieber ganz „solo“.
Dabei schafft sie es sogar noch, mit ihren Kindern die Verwandten in Deutschland zu besuchen: „ … und meine Kinder, die immer gedacht hatten, ich sei ein bisschen ‚seltsam‘, fanden zu ihrer Überraschung, dass Deutschland – oder wenigstens Neustadt – von einer Menge dieser ‚seltsamen‘ Leutchen bevölkert war“… und Berlin war dann natürlich auch „ein Erlebnis für sie“. Später, als Sohn und Tochter erwachsen sind, besucht sie Europa noch mehrmals alleine – mit einer Gruppe von Musikliebhabern: auf so genannten Operntouren. In Zürich mietet sie sich dann ein Auto und gondelt noch ein paar Tage durch den herrlichen Schwarzwald. HELMUT HÖGE
Margot McKinney Bouchard: „Eine Singerin“, „ Eine Fülle von Gesichten“. Zwei-Zwerge-Verlag, Berlin 2001 und 2002, 642 S. und 420 S., Fotos und Dokumente, 20,40 € und 22,50 €
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen