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Geschichte in Bewegung

„Migration“ findet an Hamburger Schulen nicht statt. In der Aktionswoche „Ansichtssache?! – Junge HamburgerInnen zur Einwanderung“ will das Museum der Arbeit Versäumtes zur Sprache bringen

von CHRISTIANE MÜLLER-LOBECK

Auf Migration wird an deutschen Schulen kaum Bezug genommen. Und wenn, darauf machte kürzlich der Sozialwissenschaftler Thomas Kunz in einer Studie über Curricula und Schulbücher aufmerksam, dann mit Verweis auf die Zerrissenheit, die die Kinder von Eingewanderten angeblich verspüren. Das Museum der Arbeit gibt von heute an bis zum kommenden Montag in einer Aktionswoche mit dem Titel Ansichtssache?! – Junge HamburgerInnen zur Einwanderung Gelegenheit zu einer Beschäftigung.

Musik- und Video-Workshops, Lesungen, Filme, Theateraufführungen und eine Ausstellung: Mit der Reihe von Veranstaltungen möchte das Museum, so Projektmitarbeiterin Roberta Polizzi, ein „Forum der Auseinandersetzung“ bieten. Zwar werden in dieser Woche bereits die Ergebnisse zahlreicher Workshops präsentiert, die in Zusammenarbeit mit Hamburger Schulen und Horten bis zum jetzigen Zeitpunkt realisiert wurden. Doch angesichts der Leerstelle Migration in Hamburger Lehrplänen reiche eine ein- oder zweitägige Beschäftigung gerade mal aus, um überhaupt für das Thema zu sensibilisieren, resümiert Mitarbeiterin Kerstin Römhildt ihre Erfahrungen aus den Video-Workshops.

Auf Initiative des Museums und unter Anleitung des Filmers Jürgen Kinter nahmen im vorigen halben Jahr Hamburger SchülerInnen jeweils für einen Tag die Kamera in die Hand und befragten Menschen auf der Straße oder in Geschäften nach ihrem Verhältnis zur Migration. Anstatt die kleinen und großen Grenzziehungen im Alltag zu hinterfragen, entlockten die SchülerInnen den Interviewten jedoch nur sattsam bekannte Floskeln: „Ich lebe gern hier“, „Ja, ich hatte schon Probleme mit Ausländerfeindlichkeit“, „Mit den Deutschen habe ich keine Schwierigkeiten, sie sind nur so steif.“ Ein Einziger der als Migrant Angesprochenen wusste die Frage: „Warum leben Sie hier?“ mit einem „Warum denn nicht?“ zu kontern.

Die zur Vertiefung gedachte Aktionswoche ist ihrerseits Teil eines langfristigen Projekts: Mit Fördergeldern des Senats und der Europäischen Union plant das Museum der Arbeit seit längerem für 2003 die Gesamtschau Geteilte Welten. Auf der Basis von biografischen Interviews soll dann endlich auch in Hamburg die lokale Geschichte der Migration – multimedial aufbereitet – einen Ausstellungsort bekommen. Andere bundesdeutsche Städte, wie München, Köln oder sogar Bonn, hatten längst vergleichbare Ausstellungen.

Ein Gutes hat die Verspätung der Hafenstadt zumindest: Noch gibt es die Chance, sich an der Geschichtsschreibung zu beteiligen.

Aktionswoche: heute bis Mo, 4.11.; Ausstellung: Di-Sa 10-17 Uhr, So 10-18 Uhr, Mo 17-21 Uhr; Programm und weitere Workshops: 428 32-21 50. Siehe auch www.museum-der-arbeit.de

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